Cabo De Gata
der Gedanke, dass man mich nach meinem Wohnort oder einer Meldebestätigung fragen könnte, hält mich davon ab – und am nächsten Tag ist der Koffer verschwunden.
Einmal finde ich eine tote Katze: rotgetigert, was davon noch übrig ist. Der Leib ist verbrannt bis auf die Wirbelsäule, das Maul weit geöffnet wie zum Schrei.
Und einmal, als ich den Ort vollständig umkreise, stoße ich im Nordosten auf einen großen, flachen See, in dem rosa Flamingos umherstelzen. Tatsächlich gehören diese Flamingos, wie ich daraufhin in meinem Reiseführer nachlese, zu den Hauptattraktionen von Cabo de Gata. Es gibt sogar einen kleinen Unterstand, von wo aus man durch einen Schlitz in einer Bretterwand zuschauen kann, wie diese Vögel stundenlang auf einem Bein stehen (eine Kunst, die ich zwar bewundernswert, aber ausgesprochen langweilig finde).
Später sitze ich wieder auf meiner Bank und sehe zu, wie die Sonne, genauso berechenbar, wie sie am Morgen über den Bergen erscheint, am Abend im Meer versinkt: groß und rot und rund. Die Lichter auf der Promenade springen flackernd an. Es wird kalt. Ich gehe in mein Zimmer, zünde Kerzen an. Sitze auf dem Bettrand und esse ein wenig selbstgekauften Manchego-Käse, trinke preiswerten hiesigen Rotwein dazu, bis ich mich schließlich ins Bett lege und, was bleibt mir übrig, Miller zur Hand nehme.
Tatsächlich hatte ich, um Gewicht zu sparen, keine anderen Bücher dabei. Also fraß ich mich, wenn auch stockend, durch den Koloss von Maroussi , und auch wenn ich mich, wie gesagt, an das Buch selbst kaum noch erinnere (und ich bleibe bei meinem Vorsatz, es nicht aus dem Regal zu nehmen, wo es mit vielen, meine Einwände markierenden Eselsohren heute steht), so erinnere ich mich noch sehr gut an meinen zunehmenden Ärger über seine spirituellen oder, wie ich fand: esoterischen Zumutungen. Ich erinnere mich, wie ich das Buch wieder und wieder entnervt auf die Brust sinken ließ und an meinen Freund Georg dachte (der mir diese Lektüre als das Beste, was Miller jemals geschrieben hat , für die Reise empfohlen hatte), an unsere Streitgespräche über Gott und die Welt, über Seelenwanderung oder morphogenetische Felder und insbesondere daran, wie wir einmal, nachdem wir einen frisch gefangenen Dorsch zerlegt, mit Zitrone beträufelt und das Zittern der schon ausgetrennten Filets beobachtet hatten, erbittert über die Frage stritten, ob es denkbar sei, dass es Menschen gebe, deren bloße Gegenwart die Lebensdauer von elektrischen Geräten beeinflussen könne – was zum bisher einzigen, schweren Zerwürfnis zwischen uns geführt hatte.
Aber dann, am nächsten Morgen, sitze ich wieder auf meiner Bank, die Sonne glimmt auf über dem schwarzen Gebirge, erstrahlt, breitet sich aus, schickt ihre lebenspendende Wärme in die Welt, und es scheint mir, dem Ungläubigen, angesichts dieser Sonne plötzlich ganz und gar abwegig, ja geradezu verrückt , an der Existenz Gottes zu zweifeln.
4
Es mögen zwei Wochen gewesen sein, nicht mehr, aber auch nicht viel weniger, dass ich an den Vormittagen erste Sätze schrieb, die ich an den Nachmittagen wieder herausriss, so lange jedenfalls, bis mein blaues, ringgebundenes Heft verbraucht war, denn ich weiß noch, dass ich gerade das grüne Heft angefangen hatte, als der Engländer kam.
Ich erinnere mich an das Böllern des riesigen, chromglänzenden Motorrads, das vom anderen Ende der Strandpromenade auf mich zukam. Es hielt direkt vor meiner Bank. Eine schwarze Ledergestalt stieg ab, den Kopf in einem astronautenhaften Motorradhelm, unter dem ein unauffälliges, fast kindliches, ja, wenn es das damals schon gegeben hätte: ein Castingshow-Gesicht zum Vorschein kam, und der junge Mann, zu dem das Gesicht gehörte, fragte mich, wo man hier übernachten könne.
Ich erinnere mich, dass ich ziemlich verstimmt war, als sich der Mann – seinen Namen habe ich vergessen – ohne Weiteres zu mir auf die Bank setzte und mir, obwohl ich offensichtlich beschäftigt war, ungefragt zu erklären begann, woher er gerade komme (ich glaube, aus Granada) und wohin er als Nächstes fahren wolle (ich glaube, nach Málaga); immerhin erkundigte ich mich höflich, woher er stamme, und war überrascht zu hören, aus England, weil ich ihn, von seinem plumpen Auftreten her (oder vielleicht, weil ich mich durch ihn an den Film Easy Rider erinnert fühlte), spontan für einen Amerikaner gehalten hatte.
Ich erinnere mich, dass wir zusammen aßen. Die Frau mit dem dicken Hintern
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