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Cabo De Gata

Cabo De Gata

Titel: Cabo De Gata Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eugen Ruge
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erinnere mich, wie ich mich aufrichtete, um – einem plötzlichen Entschluss folgend – in meinem kleinen gelben Wörterbuch das spanische Wort für Katze nachzuschlagen. Ich erinnere mich, wie ich auf dem Bettrand saß, die Seiten des Wörterbuchs schräg nach unten gegen das Kerzenlicht gerichtet, und wie zwischen den wörterbuchtypischen Abbreviationen das eine, das magische Wort aufflackerte: gata .
    Cabo de Gata: Ich bin auf dem Kap der Katze.
    Ich erinnere mich, dass es mir tatsächlich wie Schuppen von den Augen fiel – ein Ausdruck, den ich für eine bloße Redensart gehalten hatte. Die Luft, die mich umgab, schien durchsichtiger zu werden, die im Kerzenschein zitternden Gegenstände klarer. Die tote Katze, die lebende Katze. Der Wiederauferstehungstraum … Dass das Haar meiner Mutter bloß rot gefärbt gewesen war, bestätigte es nur umso mehr. Wie hätte sie mir anders erscheinen sollen? Grau? Als graugetigerte Katze? Hätte ich sie denn wiedererkannt? Und im Augenblick höchster Klarheit wusste ich, was sie mir hatte mitteilen wollen und dass es mit den Mitteln einer Katze nicht besser, nicht treffender zu sagen gewesen wäre – ja, vielleicht überhaupt nicht treffender zu sagen war, denn die Worte, in die ich es später fasste, erschienen mir als äußerst dürftige Umschreibung der Katzenbotschaft, und auch das – die Dürftigkeit meiner Worte – schien ein Teil dieser Botschaft zu sein, wie überhaupt jedes wunderbare, verräterische, präzise Detail, das die Episode zu bieten hat: die Distanz, auf der sie bestanden hatte. Mein Katzenfutterkauf. Mein lächerlicher, bimmelnder Dressurakt …

2
    Die Katzenbotschaft in Worten: dass ich vergeblich hier bin. Dass nämlich das, worauf ich hoffe, nicht eintreten wird – und zwar, weil ich darauf hoffe .
    Ich erinnere mich, wie ich durch die Straßen von Cabo de Gata streunte. Insgeheim hielt ich Ausschau nach ihr. Ich betrachtete die Welt aus ihrer Perspektive. Ich prüfte die Fluchtmöglichkeiten auf der von Hunden bevölkerten Promenade. Ich beobachtete, wie meine alte Wirtin mit dem Schrubber nach einer Katze schlug. Ich dachte an den verkohlten Körper in der Steppe – und misstraute jedem.
    Ich treffe Alfredo am Strand. Er wischt sich mit dem Arm über die Stirn. Seine Hände sind ölverschmiert. Er erklärt mir, warum sein Boot nicht in der Wasserlinie liegt: Die Maschine sei zu schwer, er sei gerade dabei, sie ein Stück nach vorn zu verlegen. Ich denke: Man kann eine Katze auch mit Öl übergießen. Dann müsste man aber die Antriebsachse verlängern, erklärt mir Alfredo. Außerdem passt dann der Tank nicht ins Heck. Aber wenn er den Tank in den Bug verlegt, stimmt die Wasserlinie erst recht nicht …
    Mucho trabajo , sage ich. Und Alfredo, sehr ernst: Poco pescado .
    Ich unterhalte mich mit Paco. Er ist der jüngste der Brüder, aber schon vollkommen kahl. Sein großer Schädel sieht aus wie ein bemaltes Ei. Seine Augen sind blau: katzenfutterdosenblau. Paco will wissen, was ich da eigentlich immer schreibe. Ich versuche ihm zu erklären, dass ich Tagebuch führe (tatsächlich verwende ich meine Hefte seit einer Weile dazu, mir Notizen zu machen). Und da ich das spanische Wort für Tagebuch nicht kenne, sage ich, dass ich aufschriebe, was ich jeden Tag tue.
    Aber du tust doch nichts, erwidert Paco.
    Paco ist arglos. Paco ist fröhlich. Paco kann seinen Namen schreiben (wie er mir sogleich in meinem Heft demonstriert). Er hat eine schöne Frau, die einen prallen Bauch vor sich herträgt. Er füttert, während wir auf der Bank sitzen, einen von den gescheckten, kleinen Kötern – und freut sich diebisch, als der Köter mit großem Gekläff eine Katze über die Promenade jagt.
    Der mittlere Bruder heißt Carlos. Er steht hinter der Theke, zapft sich ein Bier. Ich frage ihn, warum er das Porträt von Che Guevara auf der Brust trägt. Er findet es schön, sagt er: Muy bonito! Ich frage ihn, ob er wisse, dass Guevara Kommunist war. Das bestreitet er heftig. Che Guevara, sagt er, sei ein guter Mann gewesen und habe für die Armen der Welt gekämpft, aber Kommunist war er nicht! Ich frage ihn, ob er etwas gegen Kommunisten habe. Er überlegt und sagt dann: Eigentlich nicht. Er habe nur etwas gegen Katzen und Ratten: Gatos y ratas!
    Und dann lacht er mich an, mit dem Schaumbart auf der Oberlippe.
    Sicher bin ich mir, dass die Dickärschige Katzen hasst, schon weil sie, wie sich herausstellt, Carlos’ Frau ist. Dass der stumme Barmann ein

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