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Cabo De Gata

Cabo De Gata

Titel: Cabo De Gata Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eugen Ruge
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kluges, vorsichtiges Tier. Wo man Katzen erschlägt oder, wer weiß, mit Benzin übergießt und anzündet, ist Misstrauen nur allzu berechtigt.
    Aber warum folgte sie mir? Warum glaubte sie, ausgerechnet von mir etwas zu bekommen? Hatte sie gelernt, von Leuten, die zum Postkasten gingen, etwas zu erwarten? Hatte sie gelernt, dass solche Leute meist keine Einheimischen waren: keine, die Katzen anzündeten? Verwechselte sie mich? War es mein Geruch, falls sie ihn wahrnahm? War es meine Stimme? (Ich hatte auf dem Hinweg die amerikanische Nationalhymne gesummt.) Oder waren Leute, die abends zum Postkasten gingen, typischerweise in einer für Katzen günstigen Stimmung?
    Jedenfalls folgte sie mir über die vollen hundert Meter, die mir jetzt lang erschienen. Mehrmals noch blieb ich stehen, wiederholte das Experiment, mit dem immer gleichen Ergebnis: Sie blieb stehen, immer gerade außerhalb der Reichweite etwaiger Fußtritte, aber sobald ich mich in Bewegung setzte, folgte sie mir nach. Nun wollte ich sehen, wie weit dieses Spiel sich treiben ließe.
    Ich ging zu dem Trakt, in dem ich wohnte: Sie folgte mir. Ich öffnete zuerst die Tür zum ebenerdigen Flur, dann meine Zimmertür gleich rechts um die Ecke. Ließ beide Türen offen. Nahm den gläsernen Aschenbecher vom Fensterbrett und legte ein paar Brocken von dem teuren Manchego-Käse hinein. Stellte ihn – im Innern des Zimmers – dicht an die Schwelle. Setzte mich aufs Bett, wartete.
    Und tatsächlich, die Katze kam. Erschien geräuschlos wie ein Geist in der Tür, schaute sich aufmerksam um, prüfte den Fluchtweg. Fraß dann die Manchego-Würfel aus dem Aschenbecher.
    Ihr Schwanz, knapp über den Fußboden hingestreckt, zitterte.
    Hin und wieder drang ein leises, raubtierhaftes Schnarren aus ihrem Rachen.
    Als sie fertig war, leckte sie sich das Maul. Die winzige rosa Zunge kam zum Vorschein, schmal, aber erstaunlich lang, ganz so wie die Schokoladen-Katzenzungen, die ich aus der Kindheit kannte.
    Als ich vorsichtig aufstand, verschwand sie.

    Ich erinnere mich, dass ich am nächsten Tag – für alle Fälle – zwei eingeschweißte, bereits preisgeminderte Würstchen in meinen Einkaufskorb legte. Es war mir ein wenig unangenehm, damit durch die Kasse zu gehen, aber die junge, blond gesträhnte Verkäuferin schaute mich an wie immer, das heißt: wie junge, blond gesträhnte Verkäuferinnen einen vierzigjährigen Mann anschauen – einen Mann in einer Lederjacke, einem karierten Hemd und einem von der Sonne ausgeblichenen Filzhut.
    Gegen acht Uhr abends ging ich, obwohl ich nichts einzuwerfen hatte, wieder zum Briefkasten. Und siehe da – die Katze! Wieder folgte sie mir in gemessenem Abstand. Wieder ließ ich die Türen auf und stellte ihr den gefüllten Aschenbecher hin. Aber bevor ich ihn hinstellte, schlug ich mit der Klinge meines Opinelmessers mehrmals gegen den gläsernen Rand, auf dass sich der klingende Ton ihrem Gedächtnis einpräge und zum Signal für sie werde.
    Am nächsten Tag kaufte ich Katzenfutter: eine blaue Dose mit einer jungen, blauäugigen Katze darauf. Zum ersten Mal sah die blondgesträhnte Kassiererin mich wirklich an. Nein, eigentlich sah sie mich nicht an, sah mir nicht ins Gesicht, sondern ihr Blick huschte, so bildete ich mir ein, über meine ganze Gestalt, den Grad meiner Verwahrlosung prüfend.
    Schon tagsüber, nach meinem Strandspaziergang, hielt ich beiläufig Ausschau nach der Katze, sah sie aber nicht. Als der Abend heranrückte, musste ich mich zwingen, nicht viel zu früh loszugehen – wegen einer Katze! War dann aber doch ein paar Minuten zu früh.
    Die Katze war nicht zu sehen.
    Ich ging noch einmal zurück, kam gegen acht Uhr wieder. Ich klapperte zwei-, dreimal mit der Briefkastenklappe, in der Hoffnung, dass sie es hörte.
    Die Katze zeigte sich nicht.
    Dann ging ich wieder zu meiner Bude und versuchte es mit dem Trick, den ich am Vorabend mit der Katze einzuüben begonnen hatte. Ich erinnere mich an diesen Moment, als hätte ich mich von außen gesehen, mit fremden Augen: einen Vierzigjährigen im karierten Hemd, mit einer abgetragenen Lederjacke und einem ausgeblichenen Hut, der abends in einer menschenleeren Gasse vor seiner Tür steht, ein Opinelmesser in der Hand und einen gläsernen Aschenbecher, und versucht, eine namenlose Katze herbeizubimmeln …
    Und dann passierte es. Ich weiß nicht mehr, wie viel Zeit vergangen war, seit ich mit dem Aschenbecher vor der Tür gestanden hatte. Ich lag auf dem Bett. Ich

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