Cachalot
Diamanttunnels Labyrinthe aus gefrorenen Wolken durchbohrten.
Sie rechnete nicht mit dem leichten Stoß von hinten. Als sie aber herumfuhr und ein riesiges Maul mit noch riesigeren weißen Zähnen sah, verstärkte das ihren Schock nur. Ein schrilles Pfeifen erfüllte die Luft um sie, und ein paar Augenblicke vergingen, ehe sie daran dachte, den Translator in ihrer Kopfmaske einzuschalten.
»Diese hier bedauerrt, daß ssie dich – sie errschrreckt hat«, sagte Latehoht. »Das war nicht Absicht.«
»Das ist…« Cora holte Luft und entspannte sich. »Das ist schon gut.« Sie machte eine Fußbewegung und genoß die vertraute Freiheit, die sie stets empfand, wenn sie unter Wasser war. Latehoht bewegte kaum die Flossen, als sie in Spiralen rings um die winzige Schwimmerin dahinzog, das rechte Auge stets auf ihre kleine menschliche Begleiterin gewandt. Der Gelanzug strahlte inzwischen bereits eine wohlige Wärme aus. Cora wurde in ihrem durchsichtigen Panzer träge.
»Trauer ist über diesen Orrt gekommen«, klagte der Killerwal. »Im Wasser verharrrt immer noch der Ausfluß des Todes.«
»Glaub kein Wort, das sie sagt!«
Cora drehte sich um und sah, wie die würdige Gestalt von Mataroreva sich ihnen näherte. »Latehoht genießt den Rhythmus schlaffer Deprimiertheit.«
»Tue ich nnicht!« pfiff der Orca indigniert. »Der Gerruch ist hierr. Er hängt noch.« Sie ließ Cora allein und drehte sich herum, um Sam anzugreifen. Der duckte sich buchstäblich in der letzten Sekunde weg. Sie versetzte ihm einen Klaps mit dem Schwanz, aber damit hatte er gerechnet und hielt sich an einer Flosse fest. Dort blieb er ein paar Sekunden lang hängen, bis sie sich von ihm löste, in die Höhe schoß und ihn in den Leib stieß. Cora hörte ihn knurren. Er schlug um sich und griff nach ihrer Rückenflosse.
Dann folgten einige Minuten wilder Choreographie, in denen sie halbherzig versuchte, ihn abzuwerfen, aber es war nicht so leicht, ihn von ihrem Rücken abzuschütteln wie von ihrem Schwanz.
»Die spiellen gut zusammen, gut und frrei.«
»Ja, das kann man sagen.« Cora brachte es fertig, diesmal nicht zusammenzuzucken, obwohl Wenkoseemansa sich ganz verstohlen herangeschlichen hatte.
»In Auggenbllicken stilller Betrrachtung hat es mirr Frreude gemacht, mirr auszumallen, daß der Mennsch Samm einen passablen Wal abgegeben hätte.«
»Ganz bestimmt«, räumte sie ein, ohne recht zu wissen, wie sie die Feststellung des Orca auslegen sollte, »jedenfalls gleicht er in seinem Körperbau eher euch als den meisten von uns.«
»Wirrklich? Du mußt verrstehenn, und ich in bemüht, dies nichtt mit gerringschätziger Absicht zu sagenn, daß ihr Mennschen so kleinn seid, daß für uns Unterschiede in Grröße oder Forrm so oberrfllächlich sind, daß es uns Müühe macht, sie zu erkennnen.«
»Und doch sind unsere Gesichtszüge viel vielfältiger, wenn wir auch kleiner sind.«
Wenkoseemansa überlegte. »Das verstärkt unsere Verwirrung nur.«
Sie sah sich im klaren Wasser um und gab sich große Mühe, die wundersame Vielfalt fremden Fischlebens zu ignorieren, das sie umschwärmte, um sich auf das vorliegende Problem zu konzentrieren.
Wo waren Rachael und Merced? Hatten sie sich irgendwohin verdrückt?
»Rachael!«
»Hier, Mutter!«
Sie drehte sich im Kreis. »Wo?«
»Ich habe sie erspäht.« Wenkoseemansa schwang seine scheinbar gewichtslose Masse herum, so daß sich ihrem Blick eine schwarz-weiße Wand darbot. Sie begriff, daß er ihr anbot, auf ihm zu reiten.
»Nach deinen Begriffen sind sie in einiger Entfernung. Ich trage dich zu deinem Jungen.«
Sie zögerte nur einen Augenblick, ehe sie sich mit den behandschuhten Händen an der Vorderseite der aufragenden Rückenflosse festhielt. Dann raste das Wasser so schnell an ihr vorbei, daß es einen Druck auf ihren Anzug ausübte. Im nächsten Augenblick (so schien es ihr wenigstens) hatte sie in dem klaren Wasser einige hundert Meter zurückgelegt.
Rachael schwamm allein neben einem Schloß aus Kristall. Es sah wie eine ineinander verschachtelte Folge farbiger, spiralförmiger Muscheln aus, die bis auf zwei Meter an die Wasseroberfläche reichten. Einige kleinere Gebilde, Miniaturausgaben des Hauptkomplexes, wuchsen aus dem Riffsockel weiter unten.»Ist das nicht herrlich, Mutter?«
»Ist was nicht herrlich? Ja, schön, aber…«
»Tut mir leid. Wie konntest du das auch wissen? Hör zu!« Rachael hielt ein kleines Messer in der Hand. Damit tippte sie an das Gebilde. Ein
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