Cadence Jones ermittelt - Davidson, M: Cadence Jones ermittelt
wird im Laufe überrannt
Von jeder nächsten, hastend ohne Ruh’ .
In Des Moines:
Du, selbst Musik, was stimmt Musik dich trübe?
Hold führt nicht Krieg mit Hold, Lust nicht mit Lust;
Suchst du Genuss, dass er dein Herz betrübe,
Und liebst du das, woran du leiden musst?
In Minot:
Du bist so ganz von Eigenhass besessen,
Dass du dich selber gegen dich verschwörst,
Das herrliche Gebäude pflichtvergessen,
Statt es zu schützen, freventlich zerstörst .
Und hier in Minneapolis schließlich konnten wir mit freundlicher Genehmigung von Officer Rivers iPod lesen:
Nicht von den Sternen pflück’ ich weise Kunde
Und glaube doch, mir eignet Seherblick,
Künd’ ich auch nicht die gut’ und böse Stunde,
Noch Teu’rung, Pest und andres Missgeschick .
»Ach, du heilige Scheiße!«, stöhnte George. Er hasste Shakespeare. Mir war der Barde einigermaßen gleichgültig – ich wollte einfach nur herausbekommen, wie die Sonette zu dem Fall passten. Bis jetzt hatte keiner von uns einen Schimmer.
Getreu den sonstigen Gewohnheiten unseres lieblichen Serienmörders waren die Sonette mit einem Allerweltsdrucker auf ganz gewöhnliches Kopierpapier gedruckt worden – was allein in Minnesota Millionen Möglichkeiten ergab.
»Vielleicht ein Collegeprofessor?«, rätselte Lynn, während sie das Sonett erneut auf ihrem Bildschirm studierte. »Oder – keine Ahnung: Vielleicht ist er sogar selbst ein Dichter? Oder ein Künstler?«
»Ein idiotischer durchgeknallter Bekloppter?«, schlug George vor, während er sich wild die Haare raufte. »Willkommen im Informationszeitalter, Baby. Man muss nicht mehr jahrelang auf die Uni gehen, um Shakespeare-Sonette abzusondern. Man muss bloß lange genug googeln.«
Ärgerlicherweise hatte er damit durchaus recht.
Und doch gab es dieses Mal einen neuen Aspekt. Gott sei Dank, endlich, halleluja. Der Frau, dem Opfer Nummer eins (tut mir leid, wenn das kaltschnäuzig klingt, aber ich musste sie ja irgendwie bezeichnen, bevor wir ihre Identität festgestellt hatten), war die Titelseite der Star Tribune auf die Brust geheftet worden … und das Datum war der 1. Januar 2003.
Opfer Nummer zwei, dem kleineren der Männer, war ebenfalls ein Blatt aufs Hemd geheftet worden: von einem Tischterminkalender, Datum 15. Dezember 2003. Und Opfer Nummer drei – der Große, Dicke – hatte ein Poster von … von …
»Ist es das, wofür ich es halte?«, fragte George und hielt die Hand vor den Mund, damit die anderen Cops sein widerliches Grinsen nicht sehen konnten. Ich war ja schon lange daran gewöhnt.
»Es ist ein Poster von den Drei Tenören.« (Pavarotti, Domingo und Carreras, falls die Ihnen unbekannt sein sollten.)
»An seine Stirn geheftet!«
»Dieser Scheißkerl«, knurrte ich.
»Ach, komm schon, Cadence, was hast du gegen große Jungs, die singen?« George hockte sich neben die Leiche und nahm das Poster etwas genauer in Augenschein. »Weißt du, von Zeit zu Zeit solltest du dich mal ’n bisschen gehen lassen. Scheißkerl? Nenn ihn lieber ein Arschloch. Nenn ihn ein krankes Arschloch. Nenn ihn ein perverses … «
»Warum gerade jetzt?«, überlegte ich. Ich hockte so nahe wie möglich neben der Leiche, ohne irgendwelche Spuren zu zerstören. Wieder das gewohnte Bild: Stichwunden in der Brust. Aber keine Wunden, wie sie durch Gegenwehr entstehen. Wie konnte der Mörder seine Opfer erstechen, ohne dass sie sich wehrten?
»Seltsam«, ertönte eine Stimme hinter uns. Ich blickte auf. Und erhob mich rasch. »Keiner von ihnen hat sich gewehrt. Seltsam.«
»Jerry … «, begann ich mahnend.
»Seltsam, seltsam, seltsam.«
»Du solltest dich besser zurückhalten.«
»Ach du Scheiße!«, entfuhr es meinem Partner. »Wer hat dich denn durch die Absperrung gelassen?«
Unser Kollege Jerry Nance sah uns mit großen, tränenden und gekränkten Augen an. Er war wie der typische Fed gekleidet, Anzug von der Stange, schwarze Socken, Halbschuhe und eine erzlangweilig konservative blaue Krawatte. Nur George und ich wussten, dass Jerry seinen Anzug selbst genäht hatte – eine Arbeit, die ihn Monate gekostet haben mochte. Denn dieser besondere Anzug enthielt Dutzende versteckter Taschen.
Jerry war schlank, groß und wurde bereits kahl. Seine hohe Stirn war sonnenverbrannt, die Haut schälte sich, seine blauen Augen waren wässrig, sein Blick schien in unbestimmte Fernen gerichtet. Er wirkte, bewegte sich und sprach wie ein typischer Einwohner des Mittelwestens. In Wahrheit stammte er aus
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