Cadence Jones ermittelt - Davidson, M: Cadence Jones ermittelt
Italien, beherrschte neun Sprachen, hatte drei Collegeabschlüsse und einen IQ von 162.
Außerdem besaß Jerry eine Buchhalterseele. Er lebte für die Erstellung von Listen, die penible Untersuchung von Beweismitteln, die sorgfältige Einordnung von Puzzleteilen, und er ordnete alles, was er fand, unerbittlich nach dem Alphabet.
Er war außerordentlich klug und für die Tatortarbeit unersetzlich.
Außerdem war er Kleptomane.
»Wie lange bist du schon da?«, fragte ich und fürchtete bereits die Antwort.
Jerry blinzelte. »Eben angekommen.«
»Und was ist dann … das da? « Ich griff nach seiner Jacketttasche und zog … die Verpackung eines Sno Balls hervor.
»Jerry, Himmelherrgott!« George machte den Eindruck, als wolle er Jerry zwingen, die Hülle zu essen, deshalb trat ich hastig zwischen die beiden.
»Wo hast du das her, Jer?«
»Aus der Mülltonne an der Tür.«
»Sie haben es vom Tatort genommen?«, fragte Lynn entsetzt. »Sie – Sie haben es aus einer Mülltonne an einem Tatort entwendet, den wir gerade untersuchen? Das ist doch … «
»Böser Jerry!«, brüllte George und versuchte, über mich hinweg Jerrys kahlem Schädel einen Klaps zu versetzen. »Böse, böse, böse! Was haben wir dir immer und immer wieder gesagt? Du blödes, perverses, neunmalkluges Langfinger-Arschloch!«
»Das hat doch nicht dem Mörder gehört«, wiegelte Jerry ab. »Ein Gast aus der Bar hat’s in die Tonne geworfen.« Ich hatte keine Ahnung, woher Jerry das wissen konnte, ich wusste nur, dass es stimmte. In solchen Dingen irrte er sich nie. Wie schon gesagt, am Tatort war er unersetzlich. Und gleichzeitig ein Ärgernis: Denn es war ihm unmöglich, nichts mitgehen zu lassen.
George und ich wussten, wie wichtig Jerry Nance für BOFFO war, weil er so überhaupt nicht in Ärgernisse geriet, wenn er an einem Tatort erschien. Doch die Ortspolizisten glotzten misstrauisch, deshalb nahm ich die Sache in die Hand.
»Vielen Dank, Agent Nance«, sagte ich mit ausgesuchter Höflichkeit. »Ich … ich wusste nicht, worauf Sie hinauswollten, bis Sie es, äh, demonstrierten, indem Sie uns gezeigt haben, dass der Mörder, ähm, am Tatort auf keinen Fall Sno Balls gegessen hat.«
Jerry blinzelte mich verständnislos an. »Er hat nichts gegessen. Aber er hat das Kreuzworträtsel in sage und schreibe … «
»Fas-zi-nie-rend«, unterbrach ihn George. »Verzieh dich, Nance. Geh Büroklammern zählen, in dem Schreibwarengeschäft da drüben.«
Jerrys Miene hellte sich auf, und dann machte er sich davon. Ich hatte Schwierigkeiten, mich darauf zu besinnen, wo wir stehen geblieben waren. Ach ja! Das Poster. »Warum hat er seinen Modus Operandi so schnell geändert?«
»Weil er uns für blöd hält.«
»Und warum steigert er – oder sie – sich jetzt dermaßen in seine Taten hinein?«
»Was ist denn das für eine Frage? Bist du neu in der Klasse oder was? Warum steigern sich diese Typen in ihre Taten wohl hinein? Weil ihnen einer abgeht, wenn sie Gott spielen, darum! Wer will schon auf so eine Erfahrung verzichten? Glaub mir, ich weiß, wovon ich rede«, warf er mir zwar den Köder hin, aber ich biss nicht an. Mir war es vollkommen gleichgültig, auf welchen Wegen George zu BOFFO gekommen war. Shiro wusste es, wollte es mir aber nicht verraten. Vermutlich wollte ich es auch gar nicht wissen.
Außerdem hatte er ja recht. Unser Killer steigerte sich tatsächlich hinein und streute mehr Spuren aus, weil er allmählich an uns dämlichen Cops und Feds verzweifelte, denn wir blickten einfach nicht durch. Also musste er es uns zeigen. Und zeigen. Und zeigen.
Ich seufzte und erhob mich. »George, ruf Michaela an und prüf nach, dass keines der Opfer in South Dakota irgendwelche Papiere angeheftet hatte.«
»Aber du weißt doch verdammt genau, dass sie keine … «
»Ruf einfach an, okay?« Ich pustete mir eine Haarsträhne aus der Stirn und bemühte mich, meine Stimme zu senken. »Kannst du bitte einfach mal den Vorschriften folgen, ohne dass man dich dauernd darum bitten muss? Oder sie erst dann befolgst, wenn ich dir meine Brüste zeige?«
» Wirst du mir deine Brüste zeigen?«
»George … «
»Okay, okay, ruf jetzt bloß nicht Shiro her, Herrgott noch mal.« Er streckte mir die Handflächen hin und wich ein paar Schritte zurück. »Ich tu’s ja, okay? Ich glaub, ich hab in meinem Leben noch nicht so oft okay gesagt, aber ich mach’s, okay? Also beruhig dich wieder, okay?«
Als ob sich Shiro jemals die Hände schmutzig
Weitere Kostenlose Bücher