Cadence Jones ermittelt: Drei sind zwei zu viel (German Edition)
Gallo wiederzusehen?
Ist doch bloß dienstlich, du dummes Huhn , redete ich mir ein. Und dann sprintete ich, so schnell ich konnte, zur Tiefgarage, weil es ja bloß dienstlich war.
Aber sicher.
36
»Sie sind in dienstlicher Funktion hier?«
»Tja, also … gestern konnte ich das nicht sagen.« Wieder einmal hing ich an der Maschine, die mich meiner Körpersäfte beraubte. Ich hatte mir gedacht, da ich nun schon mal hier war, konnte ich auch gleich spenden, sollte Shiro doch jammern. Schließlich waren es meine Blutplättchen, verflixt noch mal. »Weil es um Dinge geht, die mit der Ermittlung zu tun haben … und dann müssen wir nach Möglichkeit die Medien raushalten … und dazu die Geheimhaltung … «
»Jetzt ist es ja nicht mehr so geheim«, sagte Dr. Gallo bekümmert. Wieder trug er grüne Pflegerkleidung, die so oft gewaschen worden war, dass sie bereits ausfranste. Wenn er so finster dreinblickte wie gerade jetzt, standen die flächigen Teile seines Gesichts deutlich hervor. Ob irgendwo in seinem Stammbaum ein Indianer steckte? Er war schlank, aber nicht knochig. Nie zuvor hatte ich bei einem Mann Wangenknochen gesehen, an denen man sich schneiden konnte. Die kleinen Lachfältchen um seine Augen, dachte ich, könnten auch Sorgenfalten sein. Was mich dazu drängte, ihm eine warme Mahlzeit und eine Schulter zum Ausweinen anzubieten. Oder einen Mund, den er – boah. Boah! Ich hatte doch eine glückliche Beziehung mit Little De... äh, Patrick. Ich hatte schon einen Freund.
War es vielleicht das? War mir eine feste Beziehung derart fremd, dass ich sie zerstören musste, sobald ich mich in ihr eingerichtet hatte? Oder fürchtete ich, aus heiterem Himmel verlassen zu werden, und hielt deshalb ständig Ausschau nach neuen Männern? Shiro würde ein solches Verhalten erbärmlich nennen, und damit hätte sie vollkommen recht.
»Erbärmlich!«, sagte ich laut und scheinbar völlig zusammenhanglos, doch zum Glück zog Dr. Gallo nicht einmal die Brauen hoch.
Die Station war fast leer, nur auf einer der Liegen gegenüber lag eine Frau und unterhielt sich mit der Krankenschwester. Sie war in mehrere Decken gehüllt. Oooh, du Glückliche, ich weiß, wie du dich fühlst! Diese Decken kamen immer kuschelig warm und gemütlich aus einem ganz besonderen Trockner. Für mich war Blutspenden so was wie: von einer Mama fürsorglich zugedeckt zu werden.
Oh Mann! Wie klingt das denn! War das etwa mein geheimes, finsteres Motiv für Jahre selbstloser Blutspende? Dass ich meine Mummy wiederhaben wollte? Wie Adrienne sagen würde: »Die Räder am Bus, sie drehen sich, bu fucking bu.« Dann würde sie einen Bus suchen. Ihn in die Luft sprengen. Dann würde ich von den Betreibern auf Schadenersatz verklagt werden. Immer rundum, ja, auf meinem großen schwabbeligen Hintern.
Ich war hinter dem Doc hergetrottet und hatte mich für die Spende auf die Liege gesetzt … aber diesmal wollte ich wirklich keine Decke, nein, danke der Nachfrage! Mich würden sie nicht mehr reinlegen mit ihrem falschen Muttergetue und den weichen kuscheligen Decken und den warmen Chocolate-Chip-Keksen, die angeblich selbst gebacken waren, wo doch jeder, der zufällig einen Bäcker zum Freund hatte, merken konnte, dass sie nichts als gekauft waren. Diese Faschisten!
Dr. Gallo und ich waren relativ ungestört geblieben, und während ich spendete und vor Wut schäumte, ging ich dem armen Kerl auf den Wecker.
»Jetzt kommt ’ne dämliche Frage«, setzte ich an. »Wie kommt denn Ihre Familie mit der Situation zurecht?«
»Sind die reinsten Nervenbündel geworden.« Seine schwarzen Augen hatten sich vor Zorn verengt. Sie kennen doch den Spruch, dass manche Menschen Haferbrei ähneln? Es dauert lange, bis sie überkochen, aber wenn’s dazu kommt, gibt es eine Riesensauerei. Dr. Gallo war das genaue Gegenteil solcher Menschen. Er schien eher zu jenem Typus zu gehören, der einen gewissen Wutvorrat besitzt, auf den er stets zurückgreifen kann. Ich bin unter der Obhut eines solchen Menschen aufgewachsen und weiß, wovon ich rede. »Sie sind auf jede erdenkliche Weise durchgedreht: emotional, finanziell, religiös … ihre Welt hat sich innerhalb einer halben Sekunde in Scheiße verwandelt. Ihre Welt hat sich in Scheiße verwandelt, weil sie einige wenige Stunden nicht aufgepasst haben. Nur für ein paar Stunden hatten sie ihren Jungen aus den Augen verloren. Und wer kann ihnen das zum Vorwurf machen? Er war schließlich vierzehn und nicht zwei. Und jetzt
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