Cäsar Birotteau (German Edition)
In ihre grenzenlose Zärtlichkeit mischt sich das innigste Mitgefühl. Solchen Frauen verdankt ja nur die menschliche Phantasie die wundervolle Legende von der Existenz jener himmlischen Geschöpfe!
Cäsarine hockte auf einem niedrigen Sessel zu Füßen ihrer Mutter. Von Zeit zu Zeit streifte sie mit ihrem Haar die Hände des Schlafenden. Sie erwies ihm die stumme Liebkosung, weil sie sich einbildete, daß in den Krisen des Lebens die Stimme unerträglich sei.
Auch Pillerault kauerte in einem Lehnstuhl. Der kluge Lebenskünstler unterhielt sich leise mit Derville. In der Überzeugung, daß man sich auf die Diskretion des Anwalts verlassen könne, hatte Konstanze ihn um seinen Rat gebeten. Sie kannte die Bilanz des Geschäftes auswendig und so hatte sie dem Rechtsfreunde die Situation flüsternd dargelegt. Nach einer einstündigen Beratung in Gegenwart des unbeteiligten Parfümeurs äußerte der Anwalt achselzuckend seine Meinung.
»Frau Birotteau«, sagte er mit der schrecklichen Kaltblütigkeit des Geschäftsmannes, »der Konkurs muß eröffnet werden! Gesetzt auch, es gelänge noch durch irgendeinen Kniff, morgen zahlungsfähig zu sein, so müßten doch mindestens dreihunderttausend Francs gezahlt werden, ehe man auf die Baustellen neue Hypotheken aufnehmen könnte. Den Passiven von fünfhundertfünfzigtausend Francs steht ein vorzügliches, vielversprechendes, aber vorläufig nicht realisierbares Aktivum gegenüber. Folglich können Sie in absehbarer Zeit einfach nicht weiter! Mein Rat ist nun der: lieber zum Fenster hinausspringen als sich die Treppe hinunterwerfen lassen!«
»Das ist auch meine Meinung, liebes Kind!« äußerte Pillerault.
Derville empfahl sich und ward von Frau Birotteau und ihrem Onkel hinausbegleitet.
»Armer Vater!« rief Cäsarine aus, indem sie sich erhob und einen leisen Kuß auf die Stirn des Schlafenden drückte.
»Anselm hat also nicht helfen können ?« fragte sie, als ihre Mutter und Pillerault wieder ins Zimmer kamen.
»Der Undankbare!« rief Birotteau aus. Jener Name hatte die nicht schlummernde einzige Stelle seines Bewußtseins berührt.
Das Wort »Undankbarer!« das wie ein Fluch auf den jungen Popinot geschleudert worden war, ließ ihn keinen Augenblick zur Ruhe und Schlaf kommen. In diesem unglücklichen Zustande suchte er seinen Onkel auf. Er wollte den erfahrenen alten Juristen zur Kapitulation bringen. Unter Aufbietung der herzinnigsten Beredsamkeit hoffte er einen Mann für sich zu gewinnen, an dem Menschenworte hinzugleiten pflegten wie Wasser über einen Stein.
»Nach kaufmännischem Brauch ist es durchaus statthaft«, sagte er, »daß der geschäftsführende Teilhaber eines Geschäftes dem stillen Teilhaber eine gewisse Summe als Vorschuß auf den künftigen Gewinn zahlt. Unser Geschäft wird diese Summe in der Tat auch abwerfen. Ich habe unsere Bücher auf das genaueste daraufhin geprüft und ich kann mit bestem Gewissen eine Zahlung von vierzigtausend Francs in einem Vierteljahr versprechen. Birotteaus Redlichkeit bürgt mir dafür, daß er die vierzigtausend wirklich auch zur Deckung seiner Wechsel verwendet. Wenn es zum Konkurs kommt, dann können uns die Gläubiger keinen Vorwurf hieraus machen. Übrigens will ich lieber vierzigtausend Francs als meine Cäsarine verlieren! In dem Augenblick, wo ich das zu dir sage, lieber Onkel, weiß sie wahrscheinlich bereits von meiner Weigerung und verachtet mich. Ich habe versprochen, mein Leben für meinen Wohltäter zu lassen, Ich bin in der Lage eines jungen Matrosen, der an der Seite seines Kapitäns untergeht, oder eines Soldaten, der seinen Offizier in Todesgefahr nicht verlassen darf!«
»Sei ein guter Mensch und ein schlechter Kaufmann und du wirst meine Hochachtung nie verlieren!« gab der Richter zur Antwort, indem er die Hand seines Neffen drückte. »Ich habe mir wegen der Sache auch schon den Kopf zerbrochen. Ich weiß ja, du bist in Cäsarine bis über die Ohren verliebt. Ich denke, du kannst sowohl den Gesetzen des Herzens wie des Handels genügen!«
»Mein lieber Onkel, wenn du mir dazu den Weg zeigen könntest, so rettest du mir meine Ehre!«
»Zahle Birotteau fünfzigtausend Francs in einem Wechsel, indem du ihm seinen Anteil auf euer Kephalol vertragsmäßig abkaufst! Ich will dir die Urkunde aufsetzen.«
Anselm umarmte seinen Onkel, ging in seine Wohnung und stellte für fünfzigtausend Francs Wechsel aus. Dann eilte er von der Rue des Cinq-Diamants nach der Place Vendôme und betrat den Salon
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