Cäsar Birotteau (German Edition)
Tillet beim Abschied genannt hatte. Er erkundigte sich bei Claparon, wer der Bankier Gobseck sei und wo er wohne.
»Dahinaus wollen Sie, Verehrtester ? Na, Gobseck ist unter den Bankiers, was der Scharfrichter unter den Ärzten ist. Sein erstes Wort ist: ,Fuffzig Prozent!‘ Er stammt aus der Schule Harpagons. Hat ein wundervolles Warenlager zu Ihrer Verfügung. Und welche Sicherheiten werden Sie ihm bieten? Wenn er Ihr bloßes Akzept nimmt, dann müssen Sie ihm Ihre Frau Gemahlin, Ihre Tochter, Ihren Regenschirm, Ihr Hutfutteral, Ihre Pantoffeln, das Holz in Ihrem Keller und was Sie sonst noch haben, verpfänden. Gobseck! Gobseck! Der Teufel soll mich holen! Wer hat Sie denn an den Halsabschneider gewiesen?«
»Du Tillet!«
»Das sieht dem Halunken ähnlich! Na, den kenne ich! Bis vor kurzem sind wir noch Freunde gewesen, und wenn wir uns so miteinander überworfen haben, daß wir uns nicht einmal mehr grüßen, so können Sie sich denken, daß ich meine guten Gründe habe, mich von ihm loszusagen. Ich habe ihm bis auf den Grund seiner Dreckseele geblickt. Ich kann den Fatzken nicht riechen! Er bildet sich wunder was darauf ein, daß er eine Notarsfrau zur Liebsten hat. Ich, ich könnte Hofdamen haben, wenn ich wollte! Mir wird er niemals imponieren. Meine Hochachtung ist eine Prinzessin, die in sein Bett niemals krauchen wird ... Übrigens, Sie sind ein Witzbold, alter Junge! Sie geben uns einen großartigen Ball, und drei Wochen später sollen wir Ihnen Ihre Wechsel prolongieren! Sie werden es noch einmal weit bringen! Wir wollen Geschäfte zusammen machen! Sie haben Renommee, das wird uns dabei zugute kommen... Du Tillet ist der geborene Spießgeselle dieses Gobseck. Er wird mal ein übles Ende finden. Man munkelt, der alte Gobseck habe ihn in seinen Klauen. Eines schönen Tages bricht ihm dieser Wucherer das Genick. Na, meinetwegen. Mich hat er gemein hineingelegt...«
Nach derartigem anderthalbstündigem Gerede ohne Sinn und Verstand wollte sich Birotteau entfernen.
»Ich empfehle mich, Herr Claparon!« sagte er.
»Na, Sie werden schon wiederkommen!« entgegnete ihm Claparon. »Die Geschäfte werden das mit sich bringen.«
Birotteau fühlte sich durch die burschikose Vertraulichkeit dieses Menschen ebenso verletzt wie durch die Härte Kellers und die Maskerade Nucingens. Er kam sich in seiner Biederkeit durch Claparons Schmierigkeit und seine weinseligen grotesken Ideen moralisch besudelt vor.
Wieder auf der Straße, lief Birotteau planlos dahin. Er schlenderte die Boulevards entlang und kam in die Rue Saint-Denis. Da fiel ihm Molineux ein, und er lenkte seine Schritte nach dem »Holländischen Hofe«. Auf der schmutzigen Wendeltreppe jedoch, die er noch vor kurzem so stolz hinaufgegangen war, erinnerte er sich der filzigen Rauhbeinigkeit des alten Mannes. Als Bittsteller zu ihm zu kommen war ihm gräßlich.
Wie bei dem ersten Besuche des Parfümhändlers saß der Greis auch diesmal am Kamine, aber er verdaute sein Frühstück bereits.
Cäsar trug sein Ansuchen vor.
»Ich soll einen Wechsel von zwölfhundert Francs prolongieren ?« meinte Molineux in ironischer Ungläubigkeit. »Sie machen wohl Spaß, Herr Birotteau! Wenn Sie am Fünfzehnten keine Zwölfhundert Francs zur Bezahlung Ihres Wechsels haben, dann wollen Sie mir wohl auch die Mietquittung unbezahlt zurückschicken? Das wäre eine schöne Schweinerei! In puncto Geld kenne ich nicht die geringste Höflichkeit. Die Mietzinsen sind meine Einkünfte. Davon bezahle ich, was ich andern schuldig bin. Als Kaufmann wissen Sie, wie das ist. Das Geld kennt keine Rücksichten. Das Geld hat kein Herz. Der Winter ist heuer kalt. Das Holz ist teuer geworden ... Wenn Sie am Fünfzehnten nicht bezahlen, bekommen Sie am Sechzehnten mittags eine kleine Vorladung. Der Gerichtsvollzieher wird sie Ihnen mit der Ihrer hohen Stellung gebührenden Diskretion zustellen...«
»Herr Molineux, ich habe mich noch nie in meinem Leben verklagen lassen.«
»Ein jedes Ding hat seinen Anfang!«
Birotteau ward ob der Härte des alten Mannes bestürzt und tief bekümmert. Im Geiste las er seine Konkurserklärung ...
»Eben fällt mir ein«, sagte Molineux, »daß Sie auf den Wechsel zu setzen vergessen haben: ,Wert für Miete erhalten‘. Dadurch wäre mir das Vorrecht gesichert.«
»Es tut mir leid«, erwiderte Birotteau, »nichts tun zu können, was meine übrigen Gläubiger benachteiligt.« Der Blick in den Abgrund, der sich ihm mit einemmal auftat, verblödete ihn
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