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Cäsar Birotteau (German Edition)

Cäsar Birotteau (German Edition)

Titel: Cäsar Birotteau (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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Recht eines andern kecklich bestritt, wich er selber nicht um Haaresbreite von dem seinigen, faßte seinen Gegner im rechten Moment und machte ihn durch seine Halsstarrigkeit mürbe. Er war mit allen Hunden gehetzt, just wie der Intrigant in der altfranzösischen Komödie. Ganz wie dieser wußte er sich in jeder Lage zu helfen, immer den Schein des Rechts zu wahren, lüstern alles zu nehmen und das Beste zu behalten. Bei alledem hätte er seine Fehler mit jenem berühmten Worte entschuldigen können, das der Abbé Terray dem Staate in den Mund legt: »Ich werde später rechtschaffen werden!« Leidenschaftlich, tatenlustig und von soldatischer Unerschrockenheit mutete er jedermann gute wie schlechte Taten zu, wobei er sein Ansuchen durch die Theorie des persönlichen Interesses rechtfertigte. Er verachtete die Menschen allzusehr, indem er sie alle für bestechlich hielt, er machte sich viel zuwenig Skrupel bei der Wahl seiner Mittel, die ihm der Zweck immer heiligte, er sah im Erfolg und im Geld zu konsequent die höchste Moral, als daß er nicht früher oder später sein Glück machen mußte. Ein solcher Mensch, zwischen Zuchthaus und Millionen gestellt, muß rachsüchtig, eigenmächtig, schnell entschlossen und ebenso verschlagen wie Cromwell sein, der der Rechtlichkeit die Existenzberechtigung absprechen wollte. Aber diese Abgründe verbargen sich hinter einem heiteren, leichtlebigen Geist. Obgleich nur Kommis, setzte er seinem Ehrgeiz keine Schranken. Er hatte die Gesellschaft mit einem einzigen haßerfüllten Blicke umfaßt, indem er zu sich sagte: »Du wirst mir gehören!« Er hatte sich geschworen, sich nicht vor seinem vierzigsten Jahre zu verheiraten. Er hielt das Gelübde.
    Körperlich war Ferdinand ein schlanker junger Mann von gefälligem Wuchs. Seine Manieren wandelten sich je nach seiner Umgebung; er paßte sich, so gut er konnte, jeder Gesellschaft an. Sein kluges Gesicht gefiel auf den ersten Blick; wenn man es späterhin aber genauer prüfte, ertappte man darin jene sonderbaren Merkmale, die sich in den Mienen derer ausdrücken, die anders sind als sie scheinen wollen und ein schlechtes Gewissen haben. Sein dunkelroter Teint hatte trotz der Weichheit seiner normannischen Haut eine harte Farbe. Seine Augen waren wie von Glas; es schimmerte auf ihrem Grunde wie Silber; sein Blick war unstet und, wenn er ihn fest auf ein Opfer richtete, geradezu grausig. Seine Stimme klang matt wie die eines Menschen, der viel gesprochen hat. Seinen dünnen Lippen fehlte es nicht an Anmut; aber seine spitze Nase und seine charakterlos geformte Stirn offenbarten moralische Defekte. Sein Haar endlich, das wie schwarzgefärbt aussah, verriet den Bastard, der seinen Geist einem liederlichen Grandseigneur, seine Gemeinheit einem verführten Bauernmädchen, seine Kenntnisse einer unvollendeten Erziehung und seine Laster seiner sozialen Ungebundenheit verdankte.
    Birotteau erfuhr zu seinem höchsten Erstaunen, daß sein Kommis höchst elegant angezogen ausging, sehr spät wieder heimzukommen pflegte und von Bankiers und Notaren Balleinladungen erhielt. Diese Lebensweise mißfiel unserm Cäsar, Seiner Ansicht nach mußte ein Kommis kaufmännische Bücher studieren und ausschließlich an das Geschäft denken. Alles andere hielt er für Narrenspossen und fand sein Mißfallen daran. Er erteilte deshalb seinem Kommis einen sanften Verweis, daß er zu feine Wäsche trüge und Visitenkarten habe, auf denen »Ferdinand du Tillet« stand; das käme seines Wissens nur den Leuten der vornehmen Welt zu. Ferdinand war in der Absicht des Tartüff zu diesem Orgon gekommen; er schnitt Frau Cäsar die Cour, versuchte sie zu verführen und beurteilte seinen Chef nach erschrecklich kurzer Zeit ganz genau so, wie ihn seine Ehehälfte beurteilte. Obgleich sich diskret zurückhaltend, nichts sagend, als was er sagen wollte, verriet du Tillet dennoch seine Meinungen über die Menschen und das Leben zum größten Entsetzen der ängstlichen Frau Birotteau, die die Religiosität ihres Mannes teilte und es für ein Verbrechen hielt, dem Nächsten auch nur das geringste Leid zuzufügen. Trotz der Gewandtheit, mit der sich Konstanze benahm, erriet du Tillet die Verachtung, die er ihr einflößte. Er hatte ihr mehrere Liebesbriefe geschrieben; als er aber einsah, daß er bei ihr nichts erreichte, änderte er sein Verhalten ihr gegenüber. Er begnügte sich damit, den Anschein zu erwecken, als ständen sie beide in gutem Einverständnis. Ohne ihrem Gatten

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