Cäsar Birotteau (German Edition)
wird sie reich – und Reichtum macht alles wett, während Armut und Not jedem Glück ein Ziel setzt. Übrigens soll Cäsarine, solange sie keine Dummheiten begeht, freies Spiel haben!
Birotteaus Nachbar trieb einen kleinen Handel mit Regenschirmen, Sonnenschirmen und Spazierstöcken. Er hieß Cayron und war aus dem Languedoc gebürtig. Sein Geschäft ging schlecht, und Birotteau war ihm schon verschiedentlich gefällig gewesen. Cayron war bereit, sich fortan auf seinen Laden zu beschränken; er trat dem reichen Parfümeur gern die beiden Zimmer im ersten Stock ab, denn dadurch verminderte sich sein Mietzins bedeutend.
»Guten Tag, Nachbar!« begrüßte Birotteau den Schirmhändler gemütlich, als er bei ihm eintrat. »Meine Frau ist mit der Vergrößerung unseres Ladens einverstanden! Wenn es Ihnen recht ist, gehen wir um elf zusammen zu Molineux.«
»Herr Birotteau, ich habe für die Abtretung nichts von Ihnen verlangt, aber Sie wissen, daß ein Kaufmann aus allem Geld schlagen muß.«
»Den Teufel auch!« rief Birotteau; »ich bin doch kein Krösus! Zunächst weiß ich noch gar nicht, ob der Baumeister, den ich bestellt habe, die Sache ausführbar finden wird. Ehe wir einig werden, hat er zu mir gesagt, müssen wir erst mal wissen, ob die Fußböden in beiden Häusern in gleicher Höhe liegen. Dann muß Molineux das Durchbrechen der Mauer gestatten. Und schließlich muß ich meine Treppe verlegen lassen und wer weiß, was so ein Neubau noch sonst alles verlangt. Das kostet summa summarum ein Heidengeld! Und ich will mich doch nicht dabei ruinieren.«
»Oho, Herr Birotteau! Eher stürzt der Himmel ein, als daß Sie sich ruinieren!«
Birotteau rieb sich das Kinn, wippte sich auf den Fußspitzen hoch und sank wieder auf die Fersen zurück.
»Übrigens«, fuhr Cayron fort, »will ich von Ihnen nichts weiter, als daß Sie mir diese Wechsel abnehmen.«
Er überreichte Cäsar ein Bündel Papiere: sechzehn Wechsel im Betrage von insgesamt fünftausend Francs.
»Hm!« brummte der Parfümhändler, indem er sich die Akzepte einzeln ansah; »zwei Monate, drei Monate...«
»Nehmen Sie sie mit sechs Prozent Abzug!« bat der Schirmhändler demütig.
»Mache ich denn Wuchergeschäfte?« fragte Birotteau vorwurfsvoll.
»Du mein Gott, Herr Nachbar, ich war bei Ihrem ehemaligen Kommis du Tillet. Der wollte sie um keinen Preis, wahrscheinlich nur um zu erfahren, wieviel ich daran wohl fahren lassen würde ...«
»Ich kenne die Akzeptanten nicht«, meinte Birotteau.
»Wir haben drollige Namen in unserer Branche. Es sind alles kleine Wiederverkäufer!«
»Na, alle nehme ich ja nicht, aber mit ein paar von den kürzesten will ich's mal versuchen!«
»Ach, bester Herr Birotteau, lassen Sie mich nicht den Blutsaugern in die Hände fallen, die einem das bißchen Verdienst am Geschäft wieder abzapfen! Nehmen Sie alle, Herr Birotteau! Mir diskontiert kein Mensch die Wechsel! Ich habe keinen Bankkredit. Das ist's ja, was uns Kleinhändler ruiniert!«
»Na gut, ich nehme Ihre Papiere! Cölestin mag Ihnen den Betrag auszahlen. Halten Sie sich um elf Uhr bereit! – Ah, da kommt ja auch mein Architekt, Herr Grindot!« Birotteau wandte sich dem herantretenden jungen Mann zu, mit dem er am Abend vorher eine Zusammenkunft verabredet hatte. »Sie sind gegen die Gewohnheit genialer Leute pünktlich!« Birotteau entfaltete seine ganze Kaufmannsliebenswürdigkeit. »Pünktlichkeit ist die Höflichkeit der Könige! heißt es – und die Sparbüchse der Geschäftsleute! möchte ich hinzusetzen. Zeit ist Geld – auch für euch Künstler! Und die Baukunst, habe ich mir sagen lassen, ist die Königin aller Künste!«
Vier Jahre vorher hatte sich Grindot das Rom-Stipendium für Architekten errungen. Er war nun noch nicht lange aus der Kosmopolis zurück, wo er sich drei Jahre auf Staatskosten aufgehalten hatte. In Italien hatte der junge Künstler seinen Idealen angehört, in Paris mußte er nunmehr an sein Fortkommen denken. Die Regierung allein hat die Millionen, die ein Baukünstler zum Bau seiner Ruhmestempel braucht. Jeder, der aus Rom zurückkommt, hält sich für einen Palladio oder Bramante. Und so ist es sehr natürlich, daß ein ehrgeiziger Architekt dem Staatsdienste zuneigt. Aus manchem freigeistigen Bohémien wird ein sich hohe Gönner suchender Royalist, selbst auf die Gefahr hin, von den Kollegen als Streber verschrien zu werden.
Grindot standen zwei Wege offen: dem Parfümhändler wirklich zu dienen, oder ihn auszubeuten.
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