Cäsar Birotteau (German Edition)
zu kleiden gelernt. Damit verstand sie, allen jungen Männern die Köpfe zu verdrehen.
Das hübsche Mädchen machte die Männer verliebt, ehe sie sich klar wurden, wes Geistes Kind sie sei. Wozu braucht eine Frau geistreich zu sein – was man in Paris so nennt – in einer Gesellschaftsklasse, wo man zu einer glücklichen Ehe nichts braucht als eine Frau, die gesunden Menschenverstand hat und treu ist? In geistiger Hinsicht glich Cäsarine ihrer Mutter, nur besaß sie durch ihre Erziehung mehr sogenannte Bildung; sie spielte gern Klavier, konnte nach Vorlagen ganz nett zeichnen, liebte die Bücher der Göttin und der Riccoboni und kannte die Werke von Fénelon, Racine und Bernhardin de Saint-Pierre. In das Kontor kam sie selten; nur wenn sie ihre Mutter vertreten sollte. Wie das alle Parvenüs tun, verzogen und vergötterten Cäsar und Konstanze ihre Tochter, allerdings ohne daß diese das mißbrauchte.
Grindot maß das Zimmer aus. Frau Birotteau sah ihm dabei mit bekümmerter Miene und von Unruhe erfaßt zu. Sie liebte die kleinen Zimmer, wagte aber nicht, dem jungen Manne Vorhaltungen zu machen.
»Haben Sie keine Angst, gnädige Frau«, sagte der Künstler lächelnd, »ich nehme nichts mit!«
Cäsarine mußte lachen.
»Herr von Grindot«, bat Konstanze, die des Architekten Ironie gar nicht verstanden hatte, »machen Sie es möglichst billig! Wir werden uns dafür auch erkenntlich zeigen.«
Ehe Cäsar zu Molineux ging, dem Eigentümer des Nachbarhauses, wollte er von Roguin den Vertrag holen, den Crottat über die Mietabtretung anfertigen sollte. Als er aus dem Hause trat, sah er du Tillet drüben in Roguins Arbeitszimmer am Fenster stehen. Obgleich du Tillets Verhältnis mit Frau Roguin seine häufige Anwesenheit im Hause des Notars erklärte und trotz des grenzenlosen Vertrauens, das er in Roguin setzte, ward Birotteau doch unruhig. Du Tillets angeregter Gesichtsausdruck ließ auf eine lebhafte Unterhaltung schließen.
Sollte der an dem Geschäft beteiligt sein? fragte sich der Parfümhändler voll kaufmännischen Argwohns. Was machte du Tillet gerade heute bei Roguin, wo die Verträge in der Spekulationsangelegenheit zustande kommen sollten? Wie ein Blitz durchzuckte ihn dieser Verdacht. Er blickte nochmals hin und bemerkte Frau Roguin; nunmehr erschien ihm die Anwesenheit des Bankiers nicht mehr verdächtig.
Wenn Konstanze aber doch recht hätte? Unsinn! Auf Weibereinfälle zu hören! Aber auf jeden Fall will ich noch heute mit Pillerault darüber reden. Von Molineux bis zur Rue des Bourdonnais ist's ja nur ein Katzensprung!
Ein mißtrauischer Beobachter, ein erfahrener Kaufmann, der im Laufe seines Geschäftslebens auf manchen Gauner gestoßen, hätte Lunte gerochen; aber Birotteau war in seiner Beschränktheit unfähig, aus einer Kette von Erscheinungen auf die Ursachen zu schließen. Er war kein höherer Mensch und so war er der Gefahr nicht gewachsen.
Er fand den Schirmhändler in vollem Wichs und wollte gerade mit ihm zu Molineux gehen, als ihn Virginie, seine Köchin, beim Arme faßte.
»Die gnädige Frau läßt bitten, nicht eher zu Herrn Molineux zu gehen ...«
»Unsinn! Weibermucken!«
»... ehe der Herr den Kaffee getrunken hätte!« fuhr die Köchin fort.
»Richtig! Ach Gott, mir geht so viel durch den Kopf, daß ich schon das Essen und Trinken vergesse! Gehen Sie immer, lieber Nachbar, ich folge Ihnen auf dem Fuße! Wenn es Ihnen Spaß macht, können Sie Molineux die Sache inzwischen auseinandersetzen; wir sparen da Zeit.«
Johann Baptist Molineux war ein kleiner Rentier von der wunderlichen Sorte, wie man sie nur in Paris findet. Es ist wie mit dem isländischen Moos, das eben nur in Island wächst. Dieser Vergleich ist wirklich treffend; denn Molineux war ein Zwittergeschöpf von Tier und Pflanze. Er glich jenen Kryptogamen, die an, auf, in und unter den Mauern unheimlicher und ungesunder alter Häuser wachsen, blühen und vergehen. Diese Menschenpflanze, ein blaues Käppchen auf dem Kopfe, in grünem Rock und gelben Hosen, mit ihrem gedunsenen weißlichen Gesicht, hatte auf den ersten Blick durchaus nichts Giftiges. Dieses groteske Wesen war unverkennbar der typische kleine Rentner, der auf alle Zeitungsnachrichten schwört und alles, was er sagt, mit der stereotypen Phrase bekräftigt: »Es steht doch in der Zeitung!« Durch und durch Spießbürger, war er ein Freund jeglicher Ordnung; er schimpfte immer auf die Obrigkeit, gehorchte ihr aber stets. Die Bösartigkeit dieses
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