Cäsar Birotteau (German Edition)
Gutmütigkeit viel Unverschämtheit, cholerische Tyrannei und brutale Herrscherlaunen verriet. Birotteaus sanfte Seele erschrak davor.
Endlich wartete nur noch etwa ein Dutzend Personen. Birotteau faßte den Entschluß, sobald die Tür des Kabinetts wiederum knarren würde, aufzustehen, sich dem großen Bankier vorzustellen und ihm zu sagen: Mein Name ist Birotteau! Jener Grenadier, der die Moskwaschanze als erster gestürmt, war nicht mutiger als der Parfümhändler, als er seinen Entschluß wirklich ausführte.
Franz Kellers Gesicht ward freundlich. Offenbar wollte er liebenswürdig sein. Sein Blick fiel auf das rote Ordensbändchen Birotteaus. Er trat zurück, öffnete die Tür des Kabinetts und bedeutete ihm den Weg. Eine Weile blieb er noch zurück, um mit zwei Personen zu sprechen, die eben erst angekommen waren und eifrig auf ihn eindrangen.
»Decazes möchte Sie sprechen!« sagte die eine Person. Die andere flüsterte ihm etliche Worte zu.
»Ich werde in die Sitzung kommen!« erklärte der Bankier. Dann betrat er sein Kabinett mit dem Gebaren des Frosches, der für einen Ochsen gelten will.
Wie kann er an Bankgeschäfte denken, wenn die Politik ihn beschäftigt! jammerte Cäsar bei sich. Er war außer Fassung, geblendet wie ein Insekt, das gegen ein Leuchtturmfeuer fliegt. Auf einem riesigen Tisch sah er Stöße von gedruckten Sitzungsberichten der Kammer, das Budget, Nummern des »Moniteur« mit rotangestrichenen Stellen, die gewiß zu Hilfe genommen werden sollten, um einem Minister frühere vergessene Worte wieder vorzuhalten und damit den Beifall der albernen Menge zu ernten, die nie zu begreifen fähig ist, daß neue Ereignisse die alten über den Haufen werfen. Auf einem andern Tisch waren Akten aufgehäuft, Denkschriften, Anschläge, all die tausenderlei Nachweise, die man einem Manne anvertraut, aus dessen Kassen aufblühende Unternehmungen schöpften oder schöpfen wollten. Der fürstliche Luxus des mit Gemälden, Bronzen und anderen Kunstwerken angefüllten Raumes, die Menge der geradezu in Ballen aufgeschichteten nationalen und fremdländischen Interessen, alles das übte auf Birotteau eine niederdrückende Wirkung aus. Er kam sich ganz klein vor. Dieses Gefühl vermehrte seine Angst und lahmte ihn geradezu.
Auf dem Schreibtisch des Bankiers lagen Bündel von Briefen, Wertpapieren, Wechseln, Zirkularen. Keller setzte sich und begann Briefe, die keiner Prüfung durch ihn bedurften, hastig zu unterzeichnen.
»Welchem Anlaß verdanke ich die Ehre Ihres Besuches?« fragte er.
Die Worte, hingeworfen, während die Hand des Fragers hastig über das Papier glitt, von einer Stimme, die zu ganz Europa zu sprechen vermochte und in dem Momente nur zu Cäsar Birotteau sprach – diese Worte drangen dem zaghaften Manne wie glühendes Eisen durch das Herz. Er zog eine freundliche Miene, wie sie Franz Keller seit einem Jahrzehnt zu erblicken gewohnt war, wenn ihn jemand in eine Angelegenheit ziehen wollte, die lediglich für den Sprecher von Wichtigkeit war, bei der somit von vornherein dem Bankier die Überlegenheit zufiel.
Franz Keller warf auf Birotteau einen Blick, der ihm durch und durch ging – einen napoleonischen Blick. Die Nachahmung von Äußerlichkeiten Napoleons war eine kleine Lächerlichkeit, die sich damals viele Parvenüs erlaubten, die nicht den kleinen Finger von Napoleon hatten. Der große Royalist Birotteau antwortete demütig:
»Herr Keller, ich will Ihnen Ihre Zeit nicht rauben und mich kurz fassen. Ich komme in rein geschäftlicher Angelegenheit ... um Sie zu fragen, ob ich einen Kredit bei Ihnen eröffnet bekommen kann. Als ehemaliger Handelsrichter bin ich der Bank bekannt. Ich habe noch nie Kredit beansprucht und noch nie meine Wechselunterschrift gegeben. Es ist somit das erstemal, und Sie wissen, wie schwer gerade das erstemal ist...«
Der Bankier schüttelte mit dem Kopfe. Birotteau hielt diese Bewegung für ein Zeichen von Ungeduld. Er fuhr fort:
»Die Sache liegt so. Ich habe mich in ein Terraingeschäft eingelassen, das mit meinem eigentlichen Geschäft nichts zu tun hat...«
Keller, der immer weiter las und unterzeichnete, ohne daß es aussah, als höre er auf Birotteau, wandte den Kopf und nickte beifällig. Cäsar glaubte, seine Sache verlaufe günstig, und atmete etwas auf.
»Weiter! Ich höre!« ermunterte Keller gutmütig.
Birotteau fuhr fort:
»Ich bin zur Hälfte Erwerber der Grundstücke um die Madeleine...«
»Hm! Ich habe bei Nucingen von der großen,
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