Cäsar Birotteaus Größe und Niedergang (German Edition)
deine Gläubigerversammlung gehen, du wirst dort niemanden vorfinden.«
Ragon wollte seinen Schuldner begleiten. Als sein Exnachfolger die schwache, heisere Stimme des früheren Chefs der Rosenkönigin vernahm, erblaßte er; aber der gute kleine Alte öffnete seine Arme und Birotteau stürzte sich hinein, wie in die Arme eines Vaters, und die beiden Parfümhändler überschwemmten einander mit ihren Tränen. Birotteau faßte wieder Mut, als er so viel nachsichtige Güte sah, und stieg mit dem Onkel in den Wagen. Pünktlich um einhalb elf Uhr erschienen alle drei im Kloster Saint-Merri, wo damals das Handelsgericht untergebracht war. Um diese Stunde befand sich niemand in dem für die Gläubigerversammlungen bestimmten Saale. Tag und Stunde waren mit den Syndicis und dem Konkursverwalter vereinbart worden. Die Anwälte waren als Vertreter ihrer Klienten erschienen. So konnte nichts Cäsar Birotteau ängstigen. Gleichwohl trat der arme Mann nicht ohne tiefe Erschütterung in das Arbeitszimmer des Herrn Camusot, das zufällig früher das seinige gewesen war, und er zitterte davor, in den Versammlungssaal gehen zu müssen.
»Es ist kalt,« sagte Camusot zu Birotteau, »die Herren werden lieber hier bleiben wollen, anstatt daß wir in dem Saale frieren. Nehmen Sie Platz, meine Herren.«
Alle setzten sich und der Richter gab seinen Sessel dem verwirrten Birotteau. Die Anwälte und die Syndici unterzeichneten.
»Da Sie Ihr ganzes Vermögen zur Verfügung gestellt haben,« sagte Camusot zu Birotteau, »so haben die Gläubiger einstimmig beschlossen, auf den Rest ihrer Forderungen zu verzichten; der Text Ihres Vergleichs ist so abgefaßt, daß das Ihren Kummer lindern wird; Ihr Anwalt wird ihn sofort legalisieren lassen; Sie sind nun frei. Alle Handelsrichter, mein verehrter Herr Birotteau,« sagte Camusot und drückte ihm die Hand, »sind schmerzlich berührt von Ihrer Lage, aber nicht überrascht von Ihrem Mut, und es gibt niemanden, der Ihrer Ehrenhaftigkeit nicht Anerkennung zollt. In Ihrem Unglück haben Sie sich Ihrer Stellung hier würdig gezeigt. Seit zwanzig Jahren stehe ich im Geschäftsleben, und es ist erst das zweitemal, daß ich sehe, wie ein ins Unglück geratener Kaufmann dadurch noch in der allgemeinen Achtung gestiegen ist.«
Birotteau drückte dem Richter die Hand mit Tränen in den Augen. Als Camusot ihn fragte, was er nun zu tun gedenke, antwortete er, daß er arbeiten wolle, um seine Gläubiger voll bezahlen zu können.
»Wenn Sie zur Erfüllung dieses edlen Vorhabens einige Tausend Franken nötig haben, so können Sie sie immer bei mir finden,« sagte Camusot, »ich würde sie mit dem größten Vergnügen hergeben, um Zeuge einer Handlungsweise zu sein, die in Paris ziemlich selten vorkommt.«
Pillerault, Ragon und Birotteau zogen sich zurück.
»Na?« sagte Pillerault an der Tür des Gerichtsgebäudes, »es hat den Hals nicht gekostet.«
»Ich habe Ihre Hand dabei erkannt, lieber Onkel«, sagte der arme Mann gerührt.
»Da Ihre Angelegenheit nun erledigt ist und wir nur ein paar Schritt bis zur Rue des Cinq-Diamants haben, wollen wir meinen Neffen besuchen«, sagte Ragon zu ihm.
Es war ein bitteres Gefühl für Birotteau, als er Konstanze in dem kleinen, niedrigen, dunklen Bureau im Zwischenstock über dem Laden sitzen sah, wo ein riesiges, ein Drittel ihres Fensters bedeckendes Schild mit der Aufschrift A. Popinot das Licht wegnahm.
»Das ist einer von Alexanders Offizieren«, sagte Birotteau mit Galgenhumor, indem er auf das Schild zeigte.
Diese gezwungene Lustigkeit, hinter der auch etwas von dem naiven unverwüstlichen Gefühl von Überlegenheit, die Birotteau sich zuschrieb, versteckt war, ließ Ragon trotz seiner siebzig Jahre erzittern. Cäsar sah jetzt, wie seine Frau herunterkam, um Briefe von Popinot unterzeichnen zu lassen; er konnte seine Tränen nicht zurückhalten und erblaßte.
»Guten Tag, lieber Cäsar«, begrüßte sie ihn mit lächelnder Miene.
»Ich brauche dich nicht zu fragen, ob du dich hier wohl fühlst«, sagte Cäsar und sah Popinot an. »Wie bei einem Sohne«, erwiderte sie mit so zärtlichem Ausdruck, daß er tief ergriffen wurde.
Birotteau umarmte Popinot und sagte: »Ich habe für immer das Recht verloren, dich meinen Sohn nennen zu dürfen.«
»Wir wollen die Hoffnung nicht aufgeben«, sagte Popinot. »Ihr« Öl geht glänzend, dank meinen Zeitungsannoncen und den Bemühungen Gaudissarts, der ganz Frankreich bereist und mit Anzeigen und Prospekten
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