Cäsar Birotteaus Größe und Niedergang (German Edition)
wert!«
Diese Jeremiaden des armen zugrunde gerichteten Cäsar erschütterten Pillerault durchaus nicht. Der alte Kaufmann ließ sie über sich ergehen wie ein Pferd vor einer Tür einen Regenguß; aber ihn erschreckte das dumpfe Schweigen, das der Parfümhändler bewahrte, wenn von der Gläubigerversammlung die Rede war. Wenn man versteht, daß in jeder sozialen Sphäre der Mensch seine Eitelkeiten und Schwächen besitzt, was für ein schauderhaftes Martyrium mußte es für diesen Mann sein, als Kridar im Palais des Handelsgerichts zu erscheinen, das er bisher als Richter betreten hatte! Sich dort beschimpfen zu lassen, wo ihm so viele Male für geleistete Dienste der Dank ausgesprochen worden war! Er, Birotteau, dessen unbeugsame Verurteilung der Bankrotteure in der gesamten Pariser Handelswelt bekannt war, er, der gesagt hatte: »Wenn man seinen Konkurs anmeldet, kann man noch ein ehrenhafter Mensch sein, aber aus einer Gläubigerversammlung kommt man als ein Schuft heraus!« Der Onkel suchte sich geeignete Stunden aus, um ihn mit dem Gedanken vertraut zu machen, vor seinen Gläubigern, wie es das Gesetz vorschrieb, erscheinen zu müssen. Aber diese Pflicht war für Birotteau der Tod. Seine stumme Ergebung machte einen starken Eindruck auf Pillerault, der häufig nachts durch die Tür hörte, wie er ausrief: »Niemals, niemals, eher sterbe ich!«
Pillerault, diese durch die Einfachheit ihrer Lebensführung so starke Natur, hatte Verständnis für eine solche Schwäche. Er beschloß daher, Birotteau die Angst vor dieser schrecklichen Szene zu ersparen, der er unterlegen wäre, wenn er, was unvermeidlich war, vor seinen Gläubigern hätte erscheinen müssen. In diesem Punkte ist das Gesetz deutlich, formell und zwingend. Der Kaufmann, der sich zu erscheinen weigert, kann allein deshalb unter der Anschuldigung des Bankrotts vor das Zuchtpolizeigericht gezogen werden. Aber wenn das Gesetz auch den Schuldner zum Erscheinen zwingt, so hat es doch nicht die Macht, die Gläubiger hinkommen zu lassen. Eine Gläubigerversammlung ist eine wichtige Sache nur in bestimmten Fällen: zum Beispiel, wenn es sich darum handelt, einen Schwindler zu entlarven und einen Vergleich abzuschließen, wenn zwischen bevorzugten und geschädigten Gläubigern keine Einigung zu erzielen ist, oder wenn der Vergleich gar zu betrügerisch und wenn die Majorität, deren der Schuldner bedarf, zweifelhaft ist. Aber bei einem Fallissement, wo alles zu Gelde gemacht ist wie bei einem, wo ein Gauner sich mit allen geeinigt hat, ist die Gläubigerversammlung nur eine Formalität. Pillerault ging zu allen Gläubigern und bat sie einzeln, dem Anwalt eine Vollmacht auszustellen. Alle, ausgenommen du Tillet, hatten mit Cäsar aufrichtiges Mitleid, nachdem sie ihn zugrunde gerichtet hatten. Jeder wußte, wie sich der Parfümhändler benommen hatte, in welcher Ordnung seine Bücher und wie klar seine Geschäfte waren. Alle Gläubiger waren froh, daß sich unter ihnen kein »lustiger« Gläubiger befand. Molineux, der erst Agent, dann Syndicus war, hatte bei Cäsar alles, was der arme Mann besaß, vorgefunden, sogar den Stich von Hero und Leander, den ihm Popinot geschenkt hatte, seine eigenen Schmucksachen, seine Brillantnadel, seine goldenen Schuhschnallen, seine beiden Taschenuhren – alle die Dinge, die selbst ein ehrenhafter Mann mitgenommen hätte, ohne zu fürchten, daß er sich damit einer Unehrlichkeit schuldig machen könne. Auch Konstanze hatte ihren bescheidenen Schmuck zurückgelassen. Diese rührende Unterwerfung unter das Gesetz erregte in der Handelswelt großes Aufsehen. Birotteaus Feinde erklärten das für ein Zeichen von Dummheit; aber die verständigen Leute sahen es in seinem wahren Lichte als einen wunderbaren Überschwang von Ehrlichkeit an. In zwei Monaten war die Meinung der Börse umgeschlagen. Die gleichgültigsten Leute gestanden, daß dieses Fallissement eine der seltensten Merkwürdigkeiten in der Pariser Geschäftswelt sei. So taten auch die Gläubiger, nachdem sie erfahren hatten, daß sie etwa sechzig Prozent erhalten würden, alles, was Pillerault wünschte. Da es nur sehr wenige Konkursanwälte gibt, hatten mehrere Gläubiger denselben Anwalt bevollmächtigt. Pillerault gelang es schließlich, die furchtbare Versammlung auf drei Anwälte, ihn selbst, Ragon, zwei Syndici und den Konkursverwalter zu beschränken.
Am Morgen dieses feierlichen Tages sagte Pillerault zu seinem Neffen: »Cäsar, du kannst ohne Angst heute in
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