Cäsar Birotteaus Größe und Niedergang (German Edition)
Augen treten zu müssen. Das wärmste Entgegenkommen seiner Freunde erinnerte ihn immer wieder bitter an seine Lage. Auch Konstanze und Cäsarine gingen nirgends hin. An Sonn- und Festtagen, den einzigen, wo sie frei waren, holten die beiden Frauen Cäsar zur Messe ab und leisteten ihm, nach Erfüllung der religiösen Pflichten, Gesellschaft bei Pillerault. Dieser lud dann den Abbé Loraux ein, dessen Worte Cäsar in seinen Prüfungen aufrecht erhielten, und so blieben sie im engsten Kreise zusammen. Der ehemalige Eisenhändler war selbst im Punkte der Ehrenhaftigkeit zu empfindlich, als daß er Cäsars Feingefühl mißbilligt hätte. Deshalb sann er darauf, die Anzahl der Personen zu vergrößern, vor denen sich der Kridar mit freiem Blick und erhobenem Haupte zeigen konnte.
Im Monat Mai des Jahres 1820 wurde diese gegen das Unglück kämpfende Familie für ihre Anstrengungen mit einer Festlichkeit belohnt, mit der sie der Leiter ihres Geschicks überraschen wollte. Der letzte Sonntag dieses Monats war der Jahrestag von Konstanzes Verlobung mit Cäsar. Pillerault hatte im Einverständnis mit Ragon ein kleines Landhaus in Sceaux gemietet und der frühere Eisenhändler wollte dort das Einweihungsfest geben.
»Cäsar,« sagte Pillerault zu seinem Neffen am Sonnabend Abend, »morgen gehen wir aufs Land und du wirst mitkommen.«
Cäsar, der eine vortreffliche Hand schrieb, machte abends Abschriften für Derville und einige andere Advokaten. Auch am Sonntag arbeitete er, mit kirchlichem Dispens, wie ein Sklave daran.
»Nein,« antwortete er, »Herr Derville wartet auf eine Vormundschaftsabrechnung.«
»Deine Frau und deine Tochter verdienen wohl eine Belohnung. Du findest auch nur unsere Freunde draußen: den Abbé Loraux, die Ragons, Popinot und seinen Onkel. Im übrigen wünsche ich es.«
Cäsar und seine Frau waren bei dem Getriebe ihrer Geschäfte niemals wieder nach Sceaux gekommen, obgleich sie beide von Zeit zu Zeit den Wunsch hatten, dort den Baum wiederzusehen, unter dem der erste Kommis der Rosenkönigin vor Glück beinahe ohnmächtig geworden war. Während der Fahrt, die Cäsar mit Frau und Tochter im Wagen sitzend machte, den Popinot kutschierte, warf Konstanze ihrem Manne Blicke des Einverständnisses zu, ohne jedoch ein Lächeln auf seine Lippen hervorzaubern zu können. Sie flüsterte ihm einige Worte zu, aber er schüttelte statt aller Antwort nur den Kopf. Der liebevolle Ausdruck zärtlicher Empfindung, der, wenn auch erzwungen, so doch unerschütterlich in ihrem Blicke leuchtete, machte Cäsars Gesicht, anstatt es aufzuhellen, nur noch trüber und ließ ihm die zurückgehaltenen Tränen in die Augen treten. Vor zwanzig Jahren hatte der arme Mann denselben Weg als ein wohlhabender, hoffnungsfreudiger junger Mensch gemacht, der in ein junges Mädchen verliebt war, ebenso schön wie jetzt Cäsarine; damals träumte er von Glück, und heute saß er im Wagen, vor ihm sein edles Kind, bleich von durchwachten Nächten, und seine tapfere Frau, deren Schönheit dahingeschwunden war, wie die von Städten, über die die Lava eines Vulkans sich ergossen hat. Nur die Liebe war die alte geblieben! Cäsars Haltung dämpfte die Freude im Herzen seiner Tochter und Anselms, die für ihn das reizvolle Einst vergegenwärtigten.
»Seid glücklich, Kinder, ihr habt ein Recht darauf«, sagte der arme Vater mit herzzerreißendem Tone. »Ihr könnt euch in aller Sorglosigkeit lieben«, fügte er hinzu.
Als er diese Worte sagte, hatte Birotteau die Hände seiner Frau ergriffen und küßte sie mit so andachtsvoller Verehrung, daß Konstanze mehr dadurch bewegt wurde als durch die lebhafteste Freude. Als sie bei dem Landhause anlangten, wurden sie von Pillerault, den Ragons, dem Abbé Loraux und dem Richter Popinot mit Blicken und Begrüßungen so empfangen, daß Cäsar sich wohlfühlte; alle waren bewegt, daß dieser Mann immer noch so erschien wie am Tage nach dem Hereinbrechen seines Unglücks.
»Geht ein bißchen im Wäldchen von Aulnay spazieren,« sagte der Onkel Pillerault und legte Cäsars Hand in Konstanzens, »und nehmt Anselm und Cäsarine mit! Um vier Uhr erwarten wir euch zurück.«
»Die armen Leute, wir würden sie nur genieren,« sagte Frau Ragon, gerührt von der echten Trauer ihres Schuldners, »er wird bald wieder froh werden.«
»Das nennt man Reue ohne Schuld«, sagte der Abbé Loraux.
»Er konnte nur durch das Unglück groß werden«, sagte der Richter.
Vergessen können, das ist das große
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