Cäsar Birotteaus Größe und Niedergang (German Edition)
stehen und von ihm erfahren, wie wir die Quintessenz daraus ziehen. Die Sprichwörter sind nicht so töricht, die Gegensätze berühren sich wirklich. Siehst du, mein Junge, der Handel ist das Bindeglied zwischen den vegetabilischen Erzeugnissen und der Wissenschaft. Angelika Madou sammelt die Früchte, Herr Vauquelin zeigt, wie man den Extrakt daraus macht, und wir verkaufen dann eine Essenz. Die Nüsse kosten fünf Sous das Pfund, Herr Vauquelin wird ihren Wert verhundertfachen und wir leisten vielleicht der Menschheit einen Dienst, denn da die Eitelkeit den Menschen große Qual bereitetest ein gutes Kosmetikum eine Wohltat.«
Die andächtige Bewunderung, mit der Popinot dem Vater Cäsarines zuhörte, stachelte Birotteaus Beredsamkeit noch mehr an, der sich in den wildesten Phrasen, die ein Bourgeois erdenken kann, erging.
»Sei recht ehrerbietig, Anselm,« sagte er, als sie in die Straße einbogen, in der Vauquelin wohnte, »wir werden gleich in das Heiligtum der Wissenschaft eintreten. Stelle das Bild so, daß man es sieht, aber nicht zu auffällig, auf einen Stuhl im Eßzimmer. Wenn ich nur nicht bei dem, was ich zu sagen habe, den Faden verliere«, rief Birotteau naiv aus. »Dieser Mann, Popinot, wirkt auf mich wie ein Chemikale, der Ton seiner Stimme verursacht mir eine innere Hitze und bewirkt sogar eine leichte Kolik bei mir. Er ist mein Wohltäter, und in wenigen Augenblicken wird er auch der deinige sein, Anselm.«
Diese Worte ließen Popinot erschauern, der wie auf Eiern ging und mit unruhiger Miene die Mauern anstarrte. Herr Vauquelin war in seinem Arbeitszimmer, als man Birotteau anmeldete. Der Akademiker, der den Parfümhändler als Beigeordneten und sehr in Gunst stehenden Mann kannte, nahm den Besuch an.
»Sie haben mich also doch nicht vergessen, obwohl Sie ein großer Mann geworden sind?« sagte der Gelehrte, »aber vom Chemiker zum Parfümfabrikanten ist ja nur ein Schritt.«
»Ach, verehrter Herr, zwischen einem Genie wie Sie und einem simplen Mann wie ich liegt ein unendlicher Zwischenraum. Was Sie mein Großsein nennen, das habe ich ja Ihnen zu verdanken, und das werde ich weder in dieser noch in jener Welt vergessen.«
»Oh, in jener sind wir ja, wie es heißt, alle gleich, die Könige und die Schuhflicker.«
»Das heißt, wenn die Könige und die Schuhflicker fromme Menschen gewesen sind«, sagte Birotteau.
»Ist das Ihr Sohn?« sagte Vauquelin und betrachtete den kleinen Popinot, der verblüfft war, daß er in dem Arbeitszimmer, wo er Ungeheuerlichkeiten, riesige Maschinen, flüchtige Metalle, belebte Stoffe, zu finden geglaubt hatte, gar nichts Ungewöhnliches sah.
»Nein, Herr Vauquelin, aber ein junger Mensch, den ich lieb habe und der sich an Ihre Güte, die Ihrem Genie gleichkommt, wendet; und ist die nicht unbegrenzt?« sagte er mit schlauer Miene. »Wir kommen, um ein zweites Mal Ihren Rat zu erbitten, nach einem Zwischenraum von sechzehn Jahren, und zwar in bezug auf einen wichtigen Gegenstand, über den ich so unwissend bin wie ein Parfümhändler.«
»Und welcher ist das?«
»Ich weiß, daß die Haaruntersuchungen Ihre Nächte in Anspruch nehmen und daß Sie mit der Analyse der Haare beschäftigt sind; aber während Sie sich damit um Ihres Ruhmes willen befassen, befasse ich mich damit des Geschäfts wegen.«
»Also, mein verehrter Herr Birotteau, was wünschen Sie von mir? Eine Analyse des Haars?« Er griff nach einem kleinen Stück Papier. »Ich werde in der Akademie der Wissenschaften über diesen Gegenstand einen Vortrag halten. Das Haar besteht aus einer ziemlich großen Quantität Schleim, einem kleinen Quantum weißen Öls, einer großen Menge schwarzgrünen Öls, Eisen, einigen Spuren Mangansäure, phosphorsaurem Kalk, einem ganz kleinen Quantum kohlensauren Kalkes, Kieselerde und viel Schwefel. Die verschiedenen Verhältnisse, in denen diese Stoffe zueinander stehen, bedingen die Farbe der Haare. So enthalten die roten viel mehr schwarzgrünes Öl als die andern.« Cäsar und Popinot machten so große Augen, daß sie zum Lachen reizten.
»Neun Bestandteile«, rief Birotteau aus. »Wie? In einem Haare stecken Metalle und Öle? Wenn Sie, ein Mann, den ich so hoch verehre, mir das nicht sagten, würde ich es nicht glauben. Das ist ja außergewöhnlich! Gott ist groß, Herr Vauquelin.«
»Das Haar ist das Produkt eines balgartigen Organs,« fuhr der große Chemiker fort, »eine Art an beiden Enden offener Tasche; an dem einen Ende hängt sie mit den Nerven und
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