Cäsar Cascabel
beiden Matrosen, die von ihrem Landsmanne reklamiert wurden, sich als frei betrachten. Die strenge Jahreszeit ging bereits zur Neige und die Temperatur begann erträglich zu werden. So beschlossen denn die Schiffbrüchigen, ihre Abreise von den Liakhoff-Inseln nicht länger aufzuschieben. Nicht als ob eine Wandlung in den Gesinnungen der Insulaner zu fürchten gewesen wäre! Dazu waren sie zu tief in ihrem Irrtum befangen. Herr Cascabel stand jetzt auf bestem Fuße mit seinem Freunde Tuck-Tuck, der ihm die Stiefel gewichst haben würde, wenn er es gewollt hätte! Es versteht sich von selber, daß der wackere Mann sofort Befehl gegeben hatte, alle aus der Belle-Roulotte entwendeten Gegenstände zurückzuerstatten. Er selber hatte Cäsar Cascabel knieend das Barometer überreicht, das er als Ordensdekoration getragen, und Cäsar Cascabel hatte geruht, ihm die Hand zu reichen, die Tschu-Tschuk andächtig küßte – diese Hand, der er die Kraft zutraute, Donnerkeile zu schleudern und Stürme zu entfesseln!
Um es kurz zu sagen, am achten März waren die Vorbereitungen zur Abreise beendigt. Herr Cascabel hatte zwanzig Renntiere als Vorspann für seinen Wagen verlangt und Tschu-Tschuk hatte sich beeilt, ihm hundert anzubieten, – wofür sein neuer Freund ihm dankte, indem er sich an die oben genannte Zahl hielt. Des weiteren forderte er nur den nötigen Futtervorrat, um seine Zugtiere während der Fahrt über das Eisfeld ernähren zu können.
Am Morgen des achten März nahmen Herr Sergius, die Familie Cascabel und die beiden russischen Matrosen von den Eingeborenen von Turkef Abschied. Der ganze Stamm hatte sich versammelt, um der Abreise seiner Gäste beizuwohnen und denselben eine glückliche Fahrt zu wünschen.
Allen voran war der »teure Tuck-Tuck« erschienen und zerfloß in sehr aufrichtiger Rührung. Herr Cascabel schritt zu ihm hin, klopfte ihm auf den Bauch und richtete die einfachen Worte in französicher Sprache an ihn:
»Lebewohl, alter Dummkopf!«
Aber die vertrauliche Berührung erhöhte noch das Ansehen, dessen Seine Majestät bei Ihren getreuen Unterthanen genoß.
Zehn Tage später, am achtzehnten März, langte die Belle-Roulotte, nachdem sie das Eisfeld zwischen der Liakhossgruppe und dem Festlande ohne Gefahr oder Ermüdung passiert hatte, an der sibirischen Küste nächst der Lenamündung an.
Nach den vielen Zwischenfällen und Unfällen, Gefahren und Abenteuern, die ihnen seit ihrer Abreise von Port-Clarence begegnet waren, betraten Herr Sergius und seine Gefährten endlich den asiatischen Kontinent.
VIII. Im Jakutenlande.
Der anfängliche Reiseplan, wie man ihn von der Beringstraße bis zur europäischen Grenze zu verfolgen gedacht hatte, war durch den von der Eistafel beschriebenen Umweg und die Landung an den neusibirischen Inselgruppen notwendigerweise modifiziert worden. Man durfte nicht mehr daran denken, Russisch-Asien im Süden zu durchziehen. Zudem würde die schöne Jahreszeit jetzt bald die klimatischen Verhältnisse bessern und so wurde die Überwinterung in irgend einem Marktflecken überflüssig. Man muß gestehen, daß die neuesten Ereignisse eine ebenso günstige als wunderbare Lösung herbeigeführt hatten.
Jetzt handelte es sich darum, die Richtung zu ermitteln, welche man einschlagen mußte, um das Uralgebirge, die Grenze zwischen Russisch-Asien und Russisch-Europa, auf kürzestem Wege zu erreichen. Herr Sergius gedachte dies zu thun, bevor man das an der Küste aufgeschlagene Lager verließ.
Das Wetter war ruhig und klar. Der Tag währte jetzt in voller Äquinoktialperiode über elf Stunden und verlängerte sich noch durch die helle Morgen-und Abenddämmerung, die unterm siebzigsten Breitegrad von beträchtlicher Dauer ist.
Nun Kirschef und Ortik hinzugekommen waren, bestand die kleine Karawane aus zehn Personen. Obgleich keine große Sympathie zwischen ihnen und ihren Gefährten herrschte, waren die beiden russischen Matrosen die Gäste der Belle-Roulotte geworden; sie nahmen ihre Mahlzeiten dort am gemeinsamen Tische ein; sie mußten sogar dort schlafen, solange die Temperatur ihnen nicht gestattete, im Freien zu übernachten.
In der That stand die Thermometersäule durchschnittlich noch einige Grade unter Null, – was leicht zu erkennen war, da der verbindliche Tschu-Tschuk das Thermometer seinem rechtmäßigen Herrn zurückgestellt hatte. Das ganze Gebiet lag unabsehbar unter einer ungeheuren weißen Decke verborgen, welche die Aprilsonne bald hinwegschmelzen
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