Cäsar Cascabel
Ortik in völlig ungezwungenem Tone.
»Wir sind nie über die Beringstraße hinausgekommen,« fügte Kirschef hinzu.
Die Stimme dieses Mannes brachte noch immer dieselbe Wirkung auf die junge Indianerin hervor, ohne daß sie sich zu erinnern vermochte, wo sie deren Klang schon gehört. Es konnte doch nur in den alaskischen Provinzen gewesen sein, da sie immer dort gelebt hatte.
Nach der so deutlichen Entgegnung Ortiks und Kirschefs enthielt die junge Indianerin sich mit der ihrer Rasse eigenen Zurückhaltung jeder weiteren Frage. Aber es blieb ihr doch ein unbehagliches Gefühl, sogar ein instinktives Mißtrauen gegen die beiden Matrosen zurück.
Während der erwähnten Rast von vierundzwanzig Stunden hatten die Renntiere sich genugsam von ihren Anstrengungen erholen können. Zwar waren ihre Vorderfüße mit Spannstricken gefesselt, aber das hinderte sie nicht, um das Lager herumzustreifen, die Stauden abzunagen und das Moos unterm Schnee hervorzuwühlen.
Am zwanzigsten März brach die kleine Karawane um acht Uhr morgens auf. Trockenes, klares Wetter bei Nordostwind. Soweit der Blick reichte, nichts als schneeweiße Steppe, noch hinreichend hart gefroren, daß das Fuhrwerk leicht darüber hinrollen konnte. Die Renntiere waren nach einem wohlersonnenen System in fünf Reihen zu je Vieren und Vieren eingespannt und wurden auf einer Seite von Ortik, auf der anderen von Clou-de-Girofle gelenkt.
So reisten die Wanderer sechs Tage lang, ohne daß ihnen etwas Erwähnenswertes begegnet wäre. Herr Sergius und Herr Cascabel, Jean und Xander gingen meist zu Fuß, manchmal auch von Cornelia, Napoleone und Kayette begleitet, wenn die häuslichen Pflichten es gestatteten.
Jeden Vormittag legte die Belle-Roulotte ungefähr ein »Koes« zurück, ein sibirisches Längenmaß, welches gleich zwanzig Werft ist, also etwa zwei und eine halbe Meile repräsentiert. Nachmittags drang sie in demselben Grade vor – was fünf tüchtige Meilen per Tag ausmachte.
Am neunundzwanzigsten März erreichten Herr Sergius und seine Gefährten, nachdem sie den kleinen Fluß Olenek auf dem Eise überschritten hatten, den zweiundvierzig Meilen im Südwesten von der Lenabucht gelegenen Marktflecken Maksimova.
Es war nichts dagegen einzuwenden, wenn Herr Sergius sich vierundzwanzig Stunden in dieser Ortschaft aufhalten wollte, die weltverloren an der äußersten Grenze der nördlichen Steppe liegt. Es gab dort weder einen Stadthauptmann, noch einen mit Kosaken besetzten Militärposten. Folglich hatte Graf Narkine nichts zu befürchten.
Man befand sich mitten im Jakutenlande und die Familie fand eine vortreffliche Aufnahme bei den Einwohnern von Maksimova.
Dieses Land, gebirgig und bewaldet in seinen östlichen und südlichen Teilen, weist im Norden nur weite, kahle Ebenen mit wenigen Baumgruppen auf, deren Laub die warme Jahreszeit demnächst entwickeln sollte. Die Heuernte ist dort äußerst ergiebig. Das rührt daher, daß die Temperatur in Nordsibirien, so streng der Winter auch ist, in den Sommermonaten überaus hoch steigt.
Dort gedeiht eine Bevölkerung von hunderttausend Jakuten, welche die Formen des russischen Ritus beobachten. Fromm, gastfreundlich, von guten Sitten, sind diese Leute sehr dankbar für die Wohlthaten der Vorsehung und sehr ergeben, wenn letztere ihnen herbe Prüfungen auferlegt.
Auf der Fahrt von der Lenabucht nach Maksimova war man einer gewissen Anzahl sibirischer Nomaden begegnet. Es waren dies kräftige Männer von mittelgroßer Statur, mit platten, bartlosen Gesichtern, schwarzen Augen und dichtem Haarwuchs. Dieselben Typen fanden sich in Maksimova, dessen Einwohner gesellig, friedliebend, intelligent, fleißig und nicht leicht zu täuschen sind.
Jene Jakuten, welche, stets zu Pferde, und stets bewaffnet, unstät umherschweifen, sind Besitzer zahlreicher, über die Steppe verstreuter Herden. Diejenigen, welche in Dörfern oder Marktflecken seßhaft sind, beschäftigen sich hauptsächlich mit Fischfang und beuten jene zahllosen fischreichen Wasseradern aus, welche der große Strom in seinem Laufe aufnimmt.
Aber wenn diese Jakuten auch mit allen öffentlichen und häuslichen Tugenden geziert sind, so muß man doch gestehen, daß sie dem Tabak und – was ernster ist – dem Branntwein und sonstigen alkoholhaltigen Getränken übertrieben gern zusprechen.
Die Renntiere waren zu je Vieren angespannt. (Seite 262.)
»Indessen ist das bis zu einem gewissen Grade verzeihlich,« bemerkte Jean. »Während
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