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Cäsar Cascabel

Cäsar Cascabel

Titel: Cäsar Cascabel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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Morgen war der ganze Stamm schon bei Tagesanbruch in Bewegung. Ein herrliches Wetter; höchstens zehn Grad Kälte. Und dann war es bereits vier bis fünf Stunden lang hell, mit einer Vorahnung von Sonnenstrahlen, deren Spitzen über den Horizont herausglitten.
    Die Einwohner waren aus ihren Erdlöchern hervorgekommen. Männer, Frauen, Kinder, Greise und Jünglinge hatten ihre schönsten Kleider angelegt, lange Röcke aus Seehundsfell, Palske aus Renntierhaut, alles mit dem Pelz nach außen. Es war eine unvergleichliche Schaustellung von weißem und schwarzem Rauhwerk, von glasperlenbestickten Mützen, bunt verzierten Brustlatzen, ledernen Stirnbinden, Ohrgehängen, Armringen und aus Walroßbein geschnitzten, im Nasenknorpel befestigten Schmucksachen.
    Und doch schien dies alles bei einer solchen Feierlichkeit nicht zu genügen; denn einige Vornehme des Stammes hatten es für angezeigt gehalten, sich noch reicher zu schmücken; und es waren die verschiedentlichen, aus der Belle-Roulotte entwendeten Gegenstände, welche die Kosten dieser Ausschmückung zu tragen hatten.
     

    Die Unterthanen Tschu-Tschuks nahmen ihre Beschäftigung wieder auf. (Seite 250.)
     
    In der That, gar nicht zu reden von dem Flitterstaat der Gaukler, den sie angelegt, den Cirkushelmen und Clownhüten, die sie aufgesetzt hatten, trugen einige einen als Bandelier umgehängten Strick, an welchem die beim Jonglieren benützten Ringe klapperten, während andere eine aus Kugeln und Hanteln bestehende Kette am Gürtel trugen; endlich prunkte der große Häuptling Tschu-Tschuk mit einem Aneroid-Barometer, den er wie einen frisch geschaffenen neusibirischen Orden auf der Brust befestigt hatte.
    Und die Instrumente des Jahrmarktsorchesters vereinten ihre Töne zu einem furchtbaren Konzert, einem tollen Getöse, in dem das Klapphorn mit der Posaune, die Handtrommel mit der großen Trommel um den Vorrang stritt!
    Cornelia war ebenso außer sich wie ihre Kinder, als sie diese betäubenden Mißklänge vernahm. Sie hatten alle Luft, die Künstler auszupfeifen, die nach Clou-de-Girofles Ansicht »wie Seehunde« spielten.
    Nun und – es war unglaublich! – Herr Cascabel lächelte diesen barbarischen Musikanten zu; er geizte weder mit Komplimenten noch mit Hurrarufen; er klatschte in die Hände; er schrie »Bravo! Bravo!« und erklärte wiederholt:
    »Diese wackern Leute setzen mich wahrhaftig in Erstaunen!… Sie sind außerordentlich begabt für Musik, und wenn sie meiner Truppe beitreten wollen, so stehe ich ihnen für einen durchschlagenden Erfolg auf der Messe von Perm, wie auch später auf dem Kirchweihfeste von Saint-Cloud gut!«
    Inzwischen wälzte der Zug sich unter entsetzlichem Getöse durch das Dorf auf die heilige Stätte zu, wo die Götzen der Huldigung ihrer Anbeter harrten. Tschu-Tschuk führte den Zug an. Herr Sergius und Herr Cascabel, dessen Familie und die beiden russischen Matrosen schritten dicht hinter ihm drein, gefolgt von der ganzen Bevölkerung Turkefs.
    Der Zug hielt vor der Felsengrotte, in deren Hintergrunde die einheimischen Gottheiten emporragten, die zu Ehren des Festes frisch bemalt waren.
    Nun betrat Tschu-Tschuk das Vorspük mit emporgehobenen Händen, beugte dreimal den Kopf und kauerte auf einem Teppich aus Renntierfell, der auf dem Boden ausgebreitet lag, nieder. So kniete man hierzulande.
    Herr Sergius und seine Gefährten beeilten sich, dem Herrscher nachzuahmen und das Publikum warf sich hinter ihnen zu Boden.
    Als eine andächtige Stille eingetreten war, richtete Tschu-Tschuk im Tone eines anglikanischen Predigers eine halb gesungene, halb gesprochene Rede an die drei Götzen, die in ihrem hieratischen Prunke herrlich dastanden…
    Plötzlich antwortete ihm eine Stimme, – eine mächtige, wohltönende Stimme, die bis in die entlegensten Winkel der Grotte hallt.
     

    Plötzlich antwortete ihm eine Stimme. (Seite 254.)
     
    O Wunder! Diese Stimme kommt aus dem Schnabel einer der Gottheiten, der rechts stehenden, und sie sagt in russischer Sprache:
    »
Ani sviati, éti innostranzi, katori ote zapada prichli! Zatchéme ti ikhe podirjaïche?
«
    Das bedeutet:
    »Diese aus Westen gekommenen Fremdlinge sind heilig! Warum hältst du sie zurück?«
    Diese Worte, welche alle Gläubigen deutlich vernahmen, riefen starres Erstaunen hervor.
    Es ist das erste Mal, daß die Götter Neusibiriens mit ihren An betern zu konversieren geruhten.
    Und nun dringt eine zweite, nachdrücklichere, eine befehlende Stimme aus dem Schnabel des

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