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Cäsar Cascabel

Cäsar Cascabel

Titel: Cäsar Cascabel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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Allerdings aber konnte, wenn die Gefahren, wie zu erwarten stand, dringender wurden, ihre moralische Stimmung darunter leiden.
    Herr Sergius war denn auch im Hinblick auf die Zukunft unablässig bestrebt. den kleinen Kreis bei gutem Mute zu erhalten. Während der langen Mußestunden saß er beim Lampenschein am Tische, plauderte, lehrte, erzählte die verschiedenen Einzelheiten seiner Reisen in Europa und Amerika. Neben einander sitzend, hörten Jean und Kayette ihm zu und zogen vielfachen Vorteil aus seinen belehrenden Antworten auf ihre Fragen. Zum Schlusse entlehnte er seiner Erfahrenheit dann die Berechtigung zu tröstlichen Aussprüchen.
    »Sehen Sie, meine Freunde,« sagte er eines Tages, »es ist kein Grund zum Verzweifeln da. Der Eisblock, der uns trägt, ist solid; und nun die Kälte regelrecht eingetreten ist, wird er nicht mehr zerbrechen. Beachten Sie überdies, daß er die Richtung einhält, in welcher wir reisen wollten, und daß wir ohne Ermüdung, wie auf einem Schiffe, fortkommen. Ein wenig Geduld und wir fahren in einen sicheren Hafen ein.«
    »Wer von uns verzweifelt denn, wenn ich bitten darf?« antwortete Herr Cascabel. »Wer nimmt sich denn die Freiheit, zu verzweifeln, Herr Sergius? Wer ohne meine Erlaubnis verzweifelt, der wird auf trockenes Brot gesetzt.«
    »Es ist kein Brot da!« warf der schelmische Xander ein.
    »Nun, dann auf trockenen Zwieback, abgesehen davon, daß ihm das Ausgehen untersagt wird!«
    »Man kann ohnehin nicht hinaus!« bemerkte Clou-de-Girofle.
    »Still!… Ich habe gesprochen!«
    Während der letzten Novemberwoche hatte der Schneefall fabelhafte Dimensionen angenommen. Die Menge der Flocken war so ungeheuer, daß man keinen Schritt weit vor die Thür gehen konnte – was eine ernste Katastrophe herbeiführte.
    Als er am dreißigsten November zu sehr früher Stunde erwachte, gewahrte Clou mit Erstaunen, daß er nur sehr mühsam zu atmen vermöge, als wäre die Luft ungeeignet für seine Lungenthätigkeit.
    Die übrigen lagen noch in ihren Abteilungen in so schwerem und peinlichem Schlafe, als ob sie dem Ersticken nahe wären.
    Clou wollte die äußere Thür öffnen, um frische Luft einzulassen… Es gelang ihm nicht.
    »Holla! Herr Direktor!« schrie er mit so lauter Stimme, daß er die ganze Einwohnerschaft der Belle-Roulotte weckte.
    Herr Sergius, Herr Cascabel und dessen beide Söhne fuhren empor und Jean rief:
    »Man erstickt hier!… Wir müssen die Thür öffnen!«
    »Ich habe es vergebens versucht…« antwortete Clou.
    »Nun, dann die Fensterläden?…«
    Aber da diese Läden nach außen zu öffnen waren, leisteten sie ebenfalls Widerstand.
    In wenigen Minuten hatte man die Thür ausgehängt, und nun begriff man, warum man sie nicht zu öffnen vermochte.
    Der um die Belle-Roulotte ausgeschaufelt gewesene Gang war mit vom
    Winde hineingewehten Schneemassen angefüllt; desgleichen der Gang. welcher über den Eiswall hinüber ins Freie geführt hatte.
    »Sollte der Wind sich gedreht haben?« fragte Herr Cascabel.
    »Das ist nicht wahrscheinlich,« antwortete Herr Sergius. »Es würde nicht soviel Schnee gefallen sein, wenn der Wind aus Westen wehte.«
    »Dann muß die Eisscholle sich gedreht haben,« bemerkte Jean.
     

    Man grub einen zweiten Gang aus. (Seite 212.)
     
    »Ja… so wird es sein,« erwiderte Herr Sergius. »Aber denken wir vor allem an das dringendste… Es handelt sich darum, nicht aus Mangel an atembarer Luft zu ersticken.«
    Sofort gingen Jean und Clou, mit einer Hacke und einer Schaufel bewaffnet, daran, den Gang frei zu machen. In der That eine schwere Arbeit, denn der hartgefrorene Schnee füllte ihn gänzlich aus und mochte sogar die Belle-Roulotte bedecken.
    Um schnell zu arbeiten, mußte man sich ablösen. Da man den Schnee nicht nach außen befördern konnte, war es notwendig, ihn in die erste Abteilung des Wagens zu schaufeln, von wo er, unter der Einwirkung der Temperatur in Innern fast augenblicklich zerschmelzend, nach außen abfloß.
    Nach Verlauf einer Stunde hatte die Hacke die kompakte Masse im Gange noch nicht durchbrochen. Es war unmöglich, hinaus zu gelangen, unmöglich, das Innere des Wagens zu lüften, und das Atmen wurde dort immer schwerer durch den Mangel an Oxygen und das Übermaß von Kohlensäure.
    Vergeblich rangen alle keuchend nach einem Hauche reiner Luft in dieser unerträglichen Atmosphäre. Kayette und Napoleone fühlten sich dem Erstickungstode nahe. Frau Cascabel schwebte sichtlich in der größten Gefahr.

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