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Cäsar läßt grüssen

Cäsar läßt grüssen

Titel: Cäsar läßt grüssen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Fernau
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sich keinen Selbstfahrer, er wünscht sich, daß alle nur noch ein Bein hätten.
    Der Trost täuschte. Es stellte sich bald heraus, daß er s nur gering war, denn zwischen der vernichteten Ernte des Hörigen und der des Herrn von Camillus bestand ein kleiner Unterschied. Auf dem Hörigen lag eine Bringeschuld von — sagen wir — fünfzig Zentnern. Auf Herrn von Camillus natürlich keine. Auch die Sache mit dem abgebrannten Haus erwies sich als komplizierter denn gedacht. Die Claudier, vom Großvater bis zum Enkel, standen zwar genau so wie der Schuster hungrig und mit durchlöcherten Sandalen auf der noch warmen Asche ihres einstigen Heimes, aber nicht mitverbrannt war die Schuldverschreibung, die der Schuster damals, als er sich sein Häuschen baute, eingegangen war.
    Sie werden meinen, daß der Schuster mit einiger Gleichgültigkeit den Sekretär des Herrn Claudius und seine Forderung der fälligen Rate erwarten konnte, denn »wo nichts ist. hat der Kaiser sein Recht verloren«. Eine Pfändung drohte nicht. Leider drohte etwas viel Schlimmeres: Die Verurteilung zum Sklaven.
    Nun darf man natürlich nicht an »Onkel Toms Hütte« denken. Die Römer waren keine Amerikaner. Sie wären zwar imstande gewesen, wie Lord Kitchener zehntausend Sudanesen vor die Kanone zu stellen und in die Luft zu schießen, nicht aber den einzelnen zu quälen. Damals noch. Sklaven hatte es in Rom schon lange gegeben, wahrscheinlich seit den ersten Eroberungen, zumindest seit der Republik. Denn seltsam: Demokratien haben nicht immer etwas gegen Sklaverei. Aber von der Versklavung Gefangener bis zur Versklavung eigener Bürger ist ein großer Schritt. Was ging da eigentlich in den Köpfen der Römer vor? Ich glaube, man darf nicht wie in den Lehrbüchern über solche Dinge einfach hinweggehen, wenn man die Seele eines Volkes verstehen will.
    Die Römer empfanden — eine andere Erklärung wüßte ich nicht — den wirtschaftlichen Bankrott eines Bürgers als Kapitulation vor dem bürgerlichen Leben. Mehr noch: als das Eingeständnis, nicht selbständig in der von ihnen so vergötterten römischen Gemeinschaft leben zu können. Mehr noch: als Zurückfallen in die kindliche Unmündigkeit. Genau so, und nicht etwa böser, sahen die Römer die Versklavung an. Es war für sie der Verlust der Verantwortlichkeit, der Verlust der Selbstbestimmung und Handlungsfreiheit. Daß der Herr eines Sklaven außerordentliche Gewalt hatte, entspricht nur seiner grundsätzlichen Stellung im altrömischen Recht. Er hatte dieselbe Gewalt auch über seine Angehörigen.
    Aber nun, auf dem Trümmerfeld Roms, wo Bankrott und Ruin durch höhere Gewalt und nicht durch Versagen gekommen waren, hätten die Römer, sofern meine Erklärung stimmt, die furchtbare Konsequenz nicht ziehen dürfen. Zogen sie sie? Nein. Der Senat hob das Gesetz auf und verkündete eine neue Schuldregelung.
    Einsichtig? Ohne Druck?
    Einsichtig gewiß. Ob unter Druck? Es ist sehr schwer für einen Vater, mit dem Heftpflaster schneller zu sein als das Kind mit dem Schreien. Und deshalb ist es ziemlich töricht, von Klassenkampf und »Sieg« zu sprechen, wie das heute Mode ist. Der Klassenhaß, den es ja nicht von Natur aus gibt, war noch nicht erfunden.
    Ich werde es Ihnen sagen, wenn es so weit ist.
    Noch etwas anderes wünschten sich die kleinen Leute bei dieser Gelegenheit: etwas Land für ihre zweiten, dritten, vierten Söhne, für die ein Auskommen in der Stadt nun immer schwieriger wurde. Der Senat beschloß ein neues Agrargesetz, das diese Wünsche erfüllte und den alten Grundbesitzern nicht wehtat: man verschenkte erobertes Land.
    Und dann krempelten sich alle die Ärmel auf und machten sich an die Arbeit. Wenige Jahrzehnte später war Rom wieder da!
    Wer in jenen Tagen aus dem befreundeten Ostia von der Küste herauf oder aus dem verbündeten Tarracina über die Albaner Berge herab nach Rom zu Besuch kam, war nicht wenig perplex über den Anblick, den die Stadt schon von weitem bot, sofern sich die Staubwolke, die die Reiter und den Wagen mit den Damen begleitete, einmal lichtete. Noch war die Via Appia nicht die Via Appia, denn Herr Appius Claudius, der sie zur ersten gepflasterten Römerstraße machen sollte, war zu diesem Zeitpunkt noch ein kleines Kind, das an der Hand von zwei Sklaven über das Forum wackelte, um die Welt zu besichtigen.
    Ein wuchtiger Mauerring, wie ihn in früherer Zeit die Etrusker um ihre Städte zu ziehen pflegten, umschloß jetzt Rom mit all seinen Hügeln;

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