Cäsar läßt grüssen
kein einziges dichterisches oder auch nur annähernd literarisches Dokument auf uns überkommen. Der Grund ist einfach: niemand dichtete. Die Sprache war wahrscheinlich sehr nüchtern. Es scheint auch niemand etwas anderes gelesen zu haben als die Steuererklärung und das Adressbuch. Keiner zitierte Sophokles, keiner Pindar, keiner Anakreon, keiner Sappho. Romantik, Träumerei, Ekstase waren seit der Republik — und sie war stolz darauf — abgeholzt wie die Wälder von Latium, das nun schon weit um Rom herum kahl war.
In den Quartieren der kleinen Leute, dort an der Mauer entlang über den »Scherbenberg« hinaus bis zu den Tiberinseln und auch im Norden der Stadt, wo man dichtgedrängt zwischen Magazinen, Kasernen und Übungsplätzen wohnte, ging es lebhaft aber wahrscheinlich nicht lärmend zu. Auch ein Scherzwort wird einmal hinüber und herüber geflogen sein, aber ein frostiger Ernst-sagen wir: wie heute in den sogenannten sozialistischen Ländern — lag über allen Gesichtern. Von den beiden Geschwistern, der fetten Freude und der dürren Genugtuung, bevorzugte man die zweite, und ein vergnügter Lebenskünstler hätte es bei ihnen damals nicht weiter gebracht als bis zum Quästor.
Die Straßen wurden umso stiller und die Leute umso gesetzter, je näher man den »Villenvierteln« auf dem Palatin, Aventin und Caelius und dem Zentrum kam. Der direkte Weg zum Forum führte, wie heute noch, an der Kampfbahn (dem späteren Circus maximus) vorbei zwischen den Hügeln hindurch und mündete in der Via sacra.
Jetzt war man im Herzen Roms.
Kein sehr imposantes Herz übrigens. Kaum etwas von dem stand schon, was wir heute als Ruinen und Säulenreste bewundern.
Der Vesta-Tempel, auf den man als ersten an der Via sacra stieß, war ein kleiner Rundtempel, aus Pietät nach altväterlicher Weise strohgedeckt und ziemlich wacklig — auch aus Pietät. Das ist recht interessant. Es zeigt, daß diese Zeit sich schon »modern« fühlte und die jüngst vergangenen Epochen museal empfand. Das geht offenbar sehr schnell.
Im Vesta-Heiligtum stand der Staatsaltar mit dem Ewigen Feuer. Vier Damen (später sieben) hatten dreißig Jahre lang nichts weiter zu tun, als die Flamme immer schön am Leben zu erhalten. Da das Ganze eine sehr fromme Sache war, waren auch die Vestalinnen mächtig heilig. Damals wie heute umgab sie ein Schleier des Geheimnisses und eine Atmosphäre der Scheu. Sie wurden noch im Kindesalter ausgewählt und sehr sorgfältig und streng erzogen. Da sie den Inbegriff der Makellosigkeit darstellen sollten, wurden sie von dem gleich nebenan wohnenden Pontifex maximus bei dem geringsten Verstoß furchtbar bestraft. Ließen sie sich mit dem Feuer etwas zu Schulden kommen, wurden sie gepeitscht, ließen sie sich zu einer Unkeuschheit hinreißen, wurden sie lebendig eingemauert. Das eine wie das andere ein Jammer, denn die hehren Mädchen waren fast immer von großer Schönheit und klassischer Gestalt. Sie wirkten, wenn sie so über die Via sacra schritten, gekleidet in blendendes Weiß mit weißem Kopftuch und weißer Stirnbinde, hinreißend. Daß ihr Haar geschoren war, sah man zum Glück nicht.
Geschorenes Haar und ewiges Lämpchen hat die katholische Kirche später übernommen. Das Einmauern leider nicht. Die Vestalin hatte als einziger Mensch in Rom das Recht, jeden zum Tode Verurteilten, dem sie sich auf dem Weg zur Richtstätte entgegenstellte, zu befreien.
Sie selbst war unverletzlich. Wer Hand an sie legte, verlor sein Leben. (Ausgenommen, sie stellte sich ihm auf dem Weg wieder entgegen! Anmerkung meines Rechtsanwalts.) In einem schlichten Gebäude hinter dem Heiligtum wohnten sie.
Wenn man mit dem Rücken zum Vesta-Tempel stand, sah man im Hintergrund gegen Westen den Capitolinus sich erheben und dazwischen ein freies Gelände von etwa zweihundert Metern Länge, das aussah wie der Fußballplatz in Nikosia — den Sportfreunden ob seiner vegetationslosen, hartgestampften Erde ein fester Begriff. Das, meine Damen und Herren, war das Forum! Sie werden zugeben: nicht sehr großartig. Warum man es immer noch nicht gepflastert hatte, weiß der Himmel.
Die Via sacra dagegen war es. Auf ihr zog bei religiösen Festen die Prozession zum Kapitol, da ließ man sich nicht lumpen. Den römischen Bürgern indes, die bei Volksversammlungen auch im Regen dichtgedrängt auf dem Forum standen, machte als echten Eidgenossen der Morast offenbar nichts aus.
Die Via sacra zog sich am oberen Rand des Feldes entlang. Sie war
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