Cäsar läßt grüssen
stimmte seine Marschrichtung; man stand richtig.
Es war die Richtung nach Arezzo, jawohl, aber nicht nur. Man kann zum Beispiel, wenn man in Arezzo nichts zu tun hat, daran Vorbeigehen. Das kann man heute noch. Beispielsweise die Autobahn tut es in weitem Bogen. Hannibal tat es auch. Ein bescheidener Satz.
Dieser Satz stürzte Volksfreund Flaminius in die größten Schwierigkeiten. Der Konsul hatte die Legionen aus Rimini, die im Anmarsch waren, erwarten wollen. Das ging nun nicht mehr. Hannibal befand sich nicht mehr vor, sondern hinter ihm. Wäre der Karthager an der tyrrhenischen Küste heruntergekommen, so hätte man ihn schräg abschneiden können, man hätte mehrere Tage zur Verfügung gehabt, man hätte den Schnittpunkt, und sei es auch noch so nahe bei Rom, bestimmen können. Es ging wirklich mit dem Teufel zu: Dieser Mensch zog, ohne einen Römer vor sich, auf Rom los! Flaminius handelte zwangsläufig, indem er so rasch wie möglich Hannibal folgte. Der Feind bewegte sich — übrigens aufreizend gemächlich — auf den Trasimenischen See zu. Als er ihn erreichte, war die römische Vorhut ihm so nah auf den Fersen, daß sie die letzten punischen Reiter noch sehen konnte. Gerade verschwanden sie in der engen Passage, die zwischen den Vorbergen des Apennins und dem See-Ufer hinführt.
Es ist wirklich rätselhaft, wie Flaminius in eine so simple Falle stolpern konnte. Anstatt die Reiterei in Eilmärschen am anderen Ufer um den See zu jagen und den Karthager von zwei Seiten zu fassen, zog Volksfreund Flaminius — dazu auch noch im Nebel — Hannibal hinterher. Kaum steckte er zwischen den Höhen und dem Wasser, als Hannibal kehrt machte. Gleichzeitig schlossen zurückgebliebene Einheiten die Röhre von rückwärts.
Die »Schlacht am Trasimenischen See« wurde zum Untergang des römischen Heeres. Unter den zehntausend Toten lag auch Flaminius.
Noch hundertfünfzig Kilometer nach Rom. Der Weg war frei. Hannibal ging ihn nicht. Er ließ Rom liegen. Er schickte nicht einmal Kundschafter; es interessierte ihn nicht. Die Geschichtsforschung hat lange daran herumgerätselt. Die Frage nach seinen Motiven, dem Warum, hat sich als sehr tiefgründig herausgestellt. Sie hat sich als die Frage nach seinem Charakter entpuppt. Die Regierung von Karthago hätte nichts lieber gemeldet bekommen, als die Zerstörung Roms. In diesem Augenblick war sie möglich. Warum tat Hannibal es nicht? Die heutige Quellenforschung hat sich, was nicht so leicht ist, freigemacht von der römischen und römisch-griechischen Sicht und noch einmal von vorn begonnen. Die neugewonnene Auffassung ist fast einstimmig. Wenn es eine militärische Antwort wäre, brauchte sie uns nur mit fünf Zeilen zu behelligen; aber es ist eine andere.
Hannibal entstammte einer patrizischen Familie, einem hochkultivierten Volk. Er besaß eine hellenistische Bildung. Griechische Philosophen und Dichter waren seine ständige Umgebung, das Gedankengut Platos, Aristoteles’ und des Stoikers Zenon war ihm selbstverständlich. Die Ordnung in der Welt sah er als etwas an, was man vom Ethischen nicht trennen konnte. Gewalt war ihm ein Mittel der Korrektur, aber Vernichtung als Endziel etwas Verabscheuungswürdiges. Er hat mit Sterbenden gelitten und um Tote, ob Freund oder Feind, getrauert. Irdische Güter galten ihm wenig. Der Verehrung mißtraute er, ohne sie verletzen zu wollen. Macht sah er als Auftrag an.
Sein Vater Hamilkar Barkas hatte dem neunjährigen Knaben einst — Hannibal hat es selbst erzählt — den »Schwur« abgenommen, das Versailles des ersten Punischen Krieges zu rächen und ewig der Feind Roms zu sein.
Hannibal hat den Schwur nie vergessen, aber er wollte nicht rächen, er wollte korrigieren. Und gehaßt hat er Rom nie. Er war sein Feind, weil er den rücksichtslosen römischen Imperialismus für schädlich für die ganze antike Welt des Mittelmeeres hielt und weil er die Unkultur Roms, jenes Flecks Erde, auf dem nichts als Eisen wuchs, verachtete.
Mit diesem Herzen war Hannibal sogar den Karthagern etwas unverständlich. Er schien mehr Grieche als Semit. Die Karthager waren mehr Semiten als Griechen natürlich. Ihr Auftrag an Hannibal versteht sich daher aus ihrem, nicht aus seinem Geist: Rom, das ihnen die Pulsadern aufgeschnitten hatte, sollte vernichtet werden. Sizilien und Sardinien hatten an Karthago zurückzufallen, der »friedliche« kaufmännische Wettbewerb, das Leben nebeneinander, sollte so wieder aufgenommen werden, wie es vor dem
Weitere Kostenlose Bücher