Cäsar läßt grüssen
fünfrudrigen Schiffe in See stachen. Wer das bezweifelte, war ein Verleumder, wer das angriff, war ein Feind alles Guten, der den Frieden und das Gleichgewicht der Welt störte.
Alle Generationen vorher hatten ein Wachsen miterlebt, hatten an den Schultern noch feindliche Nachbarn gehabt, waren von Grenzen umgeben gewesen. Diese Jugend jetzt war zum erstenmal in das fertige Imperium geboren. In ihren Köpfen hatte es nie etwas anderes gegeben, vor allem kein Werden. Die Knaben — obwohl streng wie stets erzogen — müssen sehr anders gewesen sein als in alten Zeiten; sicherlich von einem ins Gigantische gesteigerten Rom-Bewußtsein, einer Rom-Selbstgerechtigkeit und mit der völligen Un-ansprechbarkeit für das dubiose »Früher«. »Gestern« war für sie reines Hörensagen. Namen wie Cincinna-tus, Camillus, Gaius Mucius Scaevola bezeichneten keine Stationen des Weges, sondern waren Mythen, Epen. Und die Art, wie man von ihnen erzählte, war die gleiche Art, in der man von Mars und Merkur berichtete.
Zweihundertfünfzig Jahre lang hat die Republik auf jede Geschichtsschreibung verzichtet — wie wir heute annehmen, bewußt. Anfangs (das ist ganz deutlich erkennbar) geschah es, um die Königszeit vergessen zu machen aus Furcht vor Vergleichen und aus Furcht, im römischen Volk könne die nie erloschene monarchische Sehnsucht wieder hervorbrechen. Solange dieses Unbehagen anhielt, war das Forschen tabu. Auch jetzt, im Imperium, war die Besorgnis und Unfreiheit der Machthaber (wer immer es auch war und aus welchem Stand er auch kam) noch so groß, daß sie nichts taten, um die letzten Zeugnisse aus alter Zeit zu retten.
Aber in einem Punkte wenigstens bedeuten die Jahre um 240 oder 230 einen wichtigen Einschnitt: Jemand setzte sich hin und schrieb aus seinem persönlichen Wissen und aus dem Gedächtnis die Geschichte des soeben vorübergegangenen Punischen Krieges nieder. Der Herr hieß Naevius und wurde damit der Vater der römischen Historiker oder besser gesagt: Gegenwartshistoriker. Er schrieb für die Kriegsveteranen, für die alte Generation, für seine Frontkameraden, und einige werden es sogar gelesen haben. Sein Werk »Bellum Poenicum« ist im Original nicht auf uns überkommen, aber zahllose Spätere haben auf seine Erinnerungen zurückgegriffen, und so kommt es, daß der Punische Krieg das erste wirklich große und langjährige Ereignis ist, bei dem die heutige Forschung sich nicht wie der »Reiter über dem Bodensee« vorkommt. Auch SPQR dankte Naevius, denn er hatte sie schließlich verherrlicht. Daß er später, als alter Mann, noch verbannt wurde, muß daran gelegen haben, daß er völlig auf die schiefe Bahn geriet, indem er versuchte, eine griechische Komödie in Rom einzuführen. Er hat versäumt, sie als Truppenbetreuung zu tarnen.
Er hat noch etwas anderes versäumt: seinen Bellum poenicum zu numerieren. Ihm ist es ergangen wie uns, als wir 1918 von »dem Weltkrieg« sprachen. Ein Weltkrieg kommt selten allein. Sein Bellum poenicum war noch nicht in die Taschenbuchausgabe gegangen, da war schon der Zweite Punische Krieg da.
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Er hatte ein Vorspiel, sofern man es als Vorspiel ansehen will, aber man kann es auch getrennt betrachten.
Keltische Stämme der Po-Ebene waren rebellisch geworden, hatten den Apennin überschritten, brachten Rom auf die Beine, wurden geschlagen und verloren das ganze Land bis zu den Alpen.
So stellt sich das Ereignis dar, wenn man es für sich allein nimmt. Dann war es also zwischendurch mal wieder ein kleiner Krieg (bis 222).
Dann gab es auch noch einen zweiten selbständigen Krieg: An der Küste des heutigen Jugoslawien hatte sich ein Illyrer-Staat zu einer erheblichen Seemacht ausgewachsen, der jetzt fortgesetzt die italienische Adriaküste räuberisch überfiel. Rom mußte einschreiten, es kam zu regelrechten Gefechten, die Illyrer unterlagen und gerieten unter römische Oberhoheit.
Beide kriegerischen Verwicklungen scheinen aber viel eher nichts weiter als inszenierte Vorspiele zu etwas weit Größerem gewesen zu sein. Denn es ist bemerkenswert, was in diesen Jahren, in denen Rom so intensiv beschäftigt war, Karthago tat: Es eroberte sich in Seelenruhe in Spanien einen Ersatz für Sizilien und Sardinien. Es zahlte auch prompt die eintausendzweihundert Talente, die es von Rom in einer Laune noch zusätzlich auferlegt bekommen hatte — alles, um sich Ruhe zu verschaffen. Nichts liegt näher, als zu folgern, daß die außerordentlich kluge Barkiden-Partei in
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