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Cäsar läßt grüssen

Cäsar läßt grüssen

Titel: Cäsar läßt grüssen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Fernau
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waren reißende Regenbetten, halsbrecherische Geröllpfade über Abgründen, zwischen Lawinen, in Nebel, in Wolken, im Sturm; für die Tiere kein Schutz und kein Grashalm. Wie die Menschen es ausgehalten haben, ist bewundernswert; daß überhaupt noch Pferde und Elefanten es überlebten, grenzt ans Unglaubliche. Die generalstäblerische Leistung Hannibals in Disposition, Erkundung, Sicherung und Versorgung ist die größte, die die römische Geschichte kennt.
    Der Tod marschierte mit. Erfrierende und Verschmachtende blieben liegen, sterbende Tiere schrien der davonziehenden Heeresschlange nach — niemand drehte sich um; das grausame Entweder-Oder hing über allen. Die Hälfte der Menschen und Tiere bezahlten die Wahnsinnstat mit dem Leben. Aber eines Tages brachen die Bergmassen auf, und man erblickte das verschneite Taurosia (Turin) tief unter sich im Tal. Die Karthager standen in Oberitalien!
    Rom war wie gelähmt. Man wollte es nicht glauben. Die ganze Welt wollte es nicht glauben.
    Die Römer faßten sich etwas, als sie von dem erbarmungswürdigen Zustand des karthagischen Heeres hörten.
    Inzwischen aber nahm dieses Heer Turin, die Hauptstadt des großen Tauriner Stammes, ging ohne auszuruhen weiter, stieß am Ticinus auf römische Reiterei, die mit ihrem Konsul von der Rhone herbeigeeilt war, schlug sie, zog weiter und näherte sich Placentia. Jenseits des Po, an der Trebia, machte es halt.
    Rom war außer sich. Es schickte Verstärkung, sie traf rechtzeitig ein, beide Kontingente vereinigten sich, man atmete abermals auf.
    Der römische Befehlshaber Sempronius atmete etwas zu sehr auf. Im Anblick seiner gewaltigen Streitmacht, doppelt so stark wie die todmüden Karthager, wollte er es wissen. Er erfuhr es sofort. Hannibal schlug ihn durch überlegene Strategie vollständig. Die Reste des römischen Heeres, die nach Placentia flüchteten, wurden vor dem Untergang durch den General Winter gerettet, den berühmten ungebetenen oder erbetenen General, der in der Weltgeschichte so viele Schlachten gewonnen hat.
    Hannibal stellte die Operationen ein und bezog Lager. Von dort aus ritten jetzt statt seiner numidischen Bogenschützen seine Agenten ins Land. Die »fünfte Kolonne« war erfunden!
    Norditalien verwandelte sich in einen Vulkan. Von allen Stämmen strömten dem Karthager Zehntausende von Soldaten zu. Die Faszination durch den großen Sieger und der Haß gegen Rom trieben sie zu dem Manne, der ihnen eigentlich hätte weltenfern liegen müssen. Hannibal schmolz sie wie Gold ein.
    Das Jahr 217 kam. Die beiden Konsuln, Scipio und Sempronius, übergaben ihr Amt den neuen Konsuln — eine Einrichtung übrigens, die die Kontinuierlichkeit jeder Handlung unmöglich machte. Aber in diesem Falle dankte man Jupiter, denn einer der Neugewählten schien die Rettung Roms: Flaminius, ehemaliger Tribun, Mann mit Herz aus dem Volke, mit kühnen Ideen, Erbauer eines Circus und der Via Flaminia, ein Mann mit rücksichtslosen Ellbogen, der sich selbst einen Triumphzug gegen den Willen des Senats bewilligt hatte, total kulturfremd, patrizierfeindlich von Geblüt, ein Kommissar. Der andere Konsul war der Patrizier Servilius. Nomen est omen.
    Rom hatte sich über Winter etwas beruhigt. Es sammelte seine Heermassen, die mit den Hilfsvölkern immer noch sehr beträchtlich waren, in zwei Stellungen: rechts des Apennin bei Rimini und links des Apennin bei Arezzo. Dort stand die Hauptmacht, und dort weilte auch Flaminius selbst. Ein Nachrichtennetz spann sich quer durch die Halbinsel. Hannibal konnte kommen.
    Er kam sehr früh. Noch in der Schneeschmelze stieg er zum Golf hinab und marschierte über Luni (jene Stadt, die gerade in diesen Tagen bei La Spezia wieder ausgegraben wird) und über Luca (Lucca) in die Toscana ein. Das Arnotal war überschwemmt wie im November 1966, ein einziger Morast ohne Weg und Steg. Das Leiden schien wieder loszugehen. Die Tiere gingen ein. Die Elefanten starben bis auf einen. Auf dem saß Hannibal; nicht, weil es besonders bequem, sondern weil es sicher war. Er mußte geschützt und erhalten bleiben, denn er war krank, ein erschütternder Anblick, er trug die vom Sumpffieber entzündeten Augen verbunden; auf einem war er bereits blind! Die Blicke all seiner Krieger hingen an dem weithin sichtbaren Urwelttier, das ihr Schicksal auf dem Rücken trug.
    Flaminius wartete voller Unruhe. Die Nachrichten schienen verrückt. Wie konnte man jetzt durch das Arnotal kommen! Was für eine Idee! Aber wenigstens

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