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Cäsar läßt grüssen

Cäsar läßt grüssen

Titel: Cäsar läßt grüssen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Fernau
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ersten Kriege ausgesehen hatte.
    Das begriff Hannibal durchaus, nur verstand er unter »Vernichtung Roms« etwas anderes. Man macht eine Stadt wie Rom nicht dem Erdboden gleich. Man mißachtet das Leben von zweihunderttausend Menschen nicht derartig. Man radiert nicht eine dreihundertjährige Geschichte aus.
    Was Hannibal — zwangsläufig zum Staatspolitiker werdend — vorschwebte, war etwas anderes. Er wollte in einer Reihe von offenen Schlachten die Militärmacht Roms brechen. Er war überzeugt, das zu können, und hatte es inzwischen an der Trebia und am Trasimenischen See bewiesen. Seine Feldherrnüberlegenheit war turmhoch. Und noch etwas anderes hatte er sehen können: ein Bürgerheer (das römische) war technisch und athletisch einem Berufsheer (seinem) nicht gewachsen. Ein zweites Ziel schien Hannibal aber ebenso wichtig, vielleicht sogar entscheidend: Er mußte den Zusammenhalt des Imperiums brechen, er mußte den italischen Bund zersplittern, den Völkern Italiens die Furcht vor Rom nehmen und ihnen die Selbständigkeit und Unabhängigkeit zurückgeben. Er war überzeugt, daß sie sich danach sehnten. Er dachte an die Kelten, an die Umbrer, die Etrusker, die Samniten, an die einstigen griechischen Städte, an Tarent, an Syrakus — kein Zweifel, eine Art Habsburgisches Reich, das zerbröckeln würde, sobald Rom machtlos wurde. Rom selbst, Rom, die Stadt, Rom, das Land Latium, sollte leben. Er war kein Vernichter.
    Das römische Heer bestand, entsprechend den Bündnisverträgen, aus fünfzig Prozent Römern und fünfzig Prozent Hilfstruppen. Hannibal entließ schon nach der Schlacht an der Trebia alle Angehörigen fremder Völker aus der Gefangenschaft, versorgte sie und schickte sie nach Hause. Am Trasimenischen See machte er es mit den wenigen Überlebenden genau so.
    Das waren die Gedanken, die ihn zu dem Entschluß brachten, Rom liegen zu lassen, durch Umbrien zu ziehen und an der Adria nach Süden zu gehen, nach Süden, wo die Völker die Wunden des Pyrrhoskrieges und das Überrollen durch die Römer noch schmerzlich spüren mußten.
    Das Volk in Rom, das mit dem Schreckensruf »Han-nibal ante portas« * auf den Lippen lebte und von Stunde zu Stunde das Auftauchen der sagenhaften Elefanten erwartete, hatte die Nachricht von der Schwenkung Hannibals noch nicht bekommen.

    *

    In diesem Moment wünschte das Volk die Verantwortung nicht mehr zu haben. Es berief einen Diktator. Dreimal dürfen Sie raten, aus welchen Kreisen er kam. Es ist Quintus Fabius Maximus, der in die Geschichte eingegangene berühmte Cunctator, der »Zauderer«. Die Fabier waren neben den Quinctiern, Corneliern, Valeriern und Claudiern die älteste Patrizierfamilie Roms. Sie hatten schon unter den Königen zum Adel gezählt. Sie waren sehr reich, sehr aufopfernd, sehr wohltätig, aber in ihrer politischen Haltung unnachgiebige Gegner der Plebsherrschaft, der Volkstribunen (die in ihren Augen längst den ursprünglichen Sinn verloren hatten) und Gegner der Tributkomitien, dieser anonymen Macht, die sich jeder Verantwortung entzog. Die Fabier waren kultiviert, sie gehörten zu dem kleinen Kreis von Römern, der sich mit griechischer Kunst, Staatswissenschaft und Philosophie beschäftigte. Alles in ihnen sträubte sich daher gegen den neuen »way of life« Roms.
    Seit etwa drei Generationen hatten sie in der Staatsführung keine große Rolle mehr gespielt, aber ihr Ansehen war geblieben. Einst, kurz nach der Vertreibung der Könige, hatte es eine Zeit gegeben, da waren Rom und Fabier derselbe Begriff. Die Fabier waren es, die den Krieg gegen das mächtige Veji allein und auf eigene Kosten geführt hatten. Dieser Feldzug rottete fast die ganze Familie aus, denn das Unglück wollte es, daß (mit einer Ausnahme) alle männlichen Mitglieder gleichzeitig wehrfähig waren. Sie fielen. Übrig blieb ein Kind. Es wurde der Stammvater der späteren Fabier, selbst ein berühmter Mann, zweimaliger Konsul und einer der Dezemvirn, jener Zehn, die damals, 450, die Gesetzestafeln aufschrieben.
    Ein Fabier also war jetzt Diktator.
    Er legte dem Senat und der Generalität seine Ideen dar. Sie sind das Klarste, was in einem römischen Kopf gedacht wurde, das Klarste und das Scharfsinnigste. Quintus Maximus war der einzige, der Hannibal geistig gewachsen war; der die Gedankengänge des Karthagers mutmaßen und ihnen folgen konnte; der einzige, der das scheinbar Unverständliche verstand und die Gefahr, die verborgene viel größere Gefahr, erkannte. Er

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