Cäsar läßt grüssen
Regierung, dem Senat, nicht halt. Er hatte damals dreihundert Mitglieder, alle wehrfähigen wurden eingezogen.
Man drückte den beiden Konsuln fünfundachtzigtau-send Mann in die Hand, ein riesiges Aufgebot, und schickte sie gemeinsam in Richtung Apulien, wo Han-nibal gerade lagerte. Genau gesagt: am Aufidus, der ein nettes, erfrischendes Flüßchen ist.
Die Nachricht erfreute den Karthager auf das höchste.
Der Patrizier, jener, dessen Namen wir uns nicht merken wollten, war leider von fabischen Ideen angekränkelt und entschlossen, an den Tagen, an denen er turnusmäßig das Oberkommando hatte, kein Risiko einzugehen. Ganz anders Varro. Auch er war entschlossen, kein Risiko auf sich zu nehmen, und er kehrte auch tatsächlich unversehrt nach Rom heim, während sein Kollege zusammen mit achtzig Senatoren fiel. Aber den Volkswillen, der auch sein eigener war, wollte er vollstrecken. Er war gewillt, die entscheidende, befreiende Schlacht zu schlagen, eine Schlacht, die in die Geschichte eingehen sollte.
Es wurde die Schlacht von Cannae am 2. August 216.
Sie ging in die Geschichte als Muster ein. Genau 2130 Jahre später, im August 1914, hat Hindenburg sie bei Tannenberg Punkt für Punkt wiederholt. Fünfundachtzigtausend Römer standen vierzigtausend Karthagern gegenüber. Hannibal wandte die alte griechische Taktik an, sein Zentrum eindrücken zu lassen und die nachströmende Masse des Feindes mit starken Flanken zu umklammern. Varro hatte an so vieles gedacht, daran leider nicht.
Cannae wurde die schwerste Niederlage, die Rom in seiner Geschichte je erlitt. Fünfzigtausend blieben auf dem Schlachtfeld, ein Berg von Toten, wie ihn nie vorher jemand gesehen hatte. Zwanzigtausend wurden gefangen. Das Volk von Rom hatte seine gewünschte Schlacht erhalten. Wer war schuld?
Niemand. Denn wer ist das: »Das Volk«?
Der römische Senat empfing seinen Ministerpräsidenten, Volksfreund Varro so, wie er nicht anders konnte, nämlich formell und mit gesetzten Worten. Fast mußte er den Mann in seinem Unglück trösten. Mit »Unglück« meine ich nicht die Niederlage und die fünfzigtausend Toten, sondern sein — wie ein Professor an einer westdeutschen Universität gegenwärtig lehrt — »Mißgeschick, die Niederlage zu überleben, während sein patrizischer Kollege gefallen war«. Der andere Kerl hat wieder mal Glück gehabt; dem Varro dagegen ist und ist und ist es nicht gelungen, zu fallen. Aber er trug es mannhaft, denn — so fährt der Professor fort — »Varro ergriff gleich die nötigen Maßnahmen und fand auch in der folgenden Zeit Verwendung«.
Diese Farbenlehre, meine Freunde, gebe ich Ihnen für heute nacht zum Nachdenken.
*
Der Winter verlief ruhig.
Es kam das Jahr 215 und ein neuer Konsul: Quintus Fabius Maximus Cunctator. Er kehrte an die Spitze des Staates zurück und setzte ohne Debatte seine Strategie da fort, wo man sie verlassen hatte. Die Generäle, die er berief, Männer wie Claudius Marcellus, Claudius Nero, Fulvius Flaccus wurden in den kommenden Jahren diejenigen, die das Vertrauen zu Rom und die Waffenehre wiederherstellten und ohne Murren die undankbare Aufgabe auf sich nahmen, den ungeschlagenen Feind wie einen Kokon ruhmlos einzuspinnen. Der Cunctator griff zu den letzten Menschenreserven, er rief, was niemand zu denken gewagt hätte, achttausend Sklaven aus den Häusern zu den Feldzeichen, er begnadigte Sträflinge und schickte sie an die Front. Größer noch als die Sorge, ein neues Verfolgungsheer zusammenzubekommen, war seine Sorge, die Flotte zu vermehren und zu bemannen. Denn von nun an sollte kein karthagisches Waffen- oder Versorgungsschiff mehr Hannibal erreichen. Und es erreichte ihn nach 215 auch kein einziges mehr in zehn langen Jahren!
Natürlich sind das Dinge, die nicht grandios wirken. Extra-Blätter ergeben sie nicht. Doch Rom konnte den Schimmer einer Morgenröte sehen.
Hannibal erntete zunächst die Früchte seines neuen Sieges. Nach Cannae fielen ihm sofort die größten Städte des Südens zu: Capua, Tarent, Syrakus. Sogar Griechenland wachte auf und gedachte, nun an der Börse mitzuspielen. Der König von Macedonien spekulierte und verbündete sich mit den Karthagern. Eine Lawine versprach ins Rollen zu kommen; so hatte Hannibal es vorausgesehen.
Aber es waren — und das sah er zu spät — »Potemkinsche Dörfer«. Aus Capua, aus Tarent kam kein Heer, aus Macédonien keine Flotte. Der Opportunismus und nicht die Begeisterung schlich hinter dem Sieger her.
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