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Cäsar läßt grüssen

Cäsar läßt grüssen

Titel: Cäsar läßt grüssen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Fernau
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bewaffneten Sklaven mit. Vigiles, Feuerwehrleute, mit Wassereimern, Beilen und Patschen ausgerüstet, machten nun jede Nacht die Runde und hatten zu tun. Im nahen Ostia wimmelte es von Dirnen, und langsam sickerten sie nach Rom ein, weiße, braune, schwarze. Die einst so verfemten fremden Sitten: Gelage, Ehebruch, Orgien, Paiderastie lockten und wurden hinter verschlossenen Türen ausprobiert. Sie waren wie die erste Zigarette: Sie schmeckten nicht recht, aber ein Hauch von großer Welt, von »modern«, von »chic«, von »frei«, von »revolutionär« umwehte sie. Die Schickeria formierte sich. Roms Neuzeit war angebrochen.

    *

    An ihrem Anfang steht der Name Gracchus. Jedenfalls ist dies der Name, unter dem Sie die beiden Brüder Tiberius und Gaius aus dem Geschlecht der Sempronier kennen; Sie kennen sie, sicherlich haben Sie sie nicht vergessen, sicherlich hat man Sie sie achten und bewundern gelehrt, vielleicht sogar lieben, was ja immerhin etwas anderes ist, und ich bin der letzte, der Ihnen dieses Bild zerstören will. Nur müssen Sie mir erlauben, mich an die Tatsachen zu halten und Tatsachen auch einmal miteinander zu konfrontieren. Eine gewisse Logik läßt sich da nicht vermeiden. Zunächst haben wir es mit Tiberius, dem um zehn Jahre älteren der beiden Brüder zu tun.
    Zweierlei haben Sie gewiß gelernt: daß er aus hochadligem Hause stammte und daß er im Jahre 133 Volkstribun wurde. Beides stimmt — fast. Vollständig kann es nicht stimmen, denn ein Volkstribun mußte, der Verfassung nach, einer plebejischen Familie angehören. Ich gebe zu, daß ich mich hier kleinlicher als alle Lehrbücher zeige, aber es besteht ja die Möglichkeit, daß Sie sich diese Frage auch schon einmal selbst gestellt haben. Daß Sie sie nirgends gelöst finden, obwohl sie einfach zu beantworten ist, hat einen bemerkenswert sozialpsychologischen Grund, den Sie zum Beispiel in der Geschichtsdarstellung der Französischen Revolution wiederfinden: Der Glanz der guten Abstammung ist nicht tot zu kriegen; er ist faszinierend sogar noch als Beigabe des Konträren.
    In einem kurzen Satz zwei Fremdworte — ich fühle, ich muß mich entschuldigen. Denn man kann diesen Satz auch in einem unvergleichlich viel deutlicheren Bild ausdrücken: Auf dem Grabstein des letzten vom Pöbel hingerichteten Aristokraten müßte stehen »Die Bewunderung höret nimmer auf.«
    Das Hochpatrizische an den Gracchen war die Mutter. Sie war eine Tochter des Scipio Africanus, eine kultivierte und gebildete Frau. Der Vater war Plebejer aus der Familie des Sempronius und dem Zweig des Gracchus, dessen doppeltes »c« Sie ’in der Aussprache nicht zu irritieren braucht. Die Familie war so zahlreich wie die Kennedys. Cornelia Scipio gebar ihrem Mann zwölf Kinder, nur drei überlebten den Vater: Tiberius, Gaius und Sempronia, die später wieder in die Scipionen-Familie zurückheiratete.
    Schon der Vater war als Volkstribun hochgekommen, ein Mann aus »echtem Schrot und Korn«. Er war Prätor in Spanien geworden, das heißt Generalgouverneur und Oberbefehlshaber; er hatte, wie die Annalen stolz aufzählen, zweihundert Orte der Iberer erobert und zerstört, dafür einen Triumphzug bekommen und anschließend das Konsulamt. Ein zweites Mal noch bereitete ihm Rom einen Triumphzug, als ihm die Unterwerfung der aufständischen Sardinier gelang, von denen er achtzigtausend in die Sklaverei verkaufte. Das waren die Höhepunkte seines Lebens, das er als Anwalt der armen Kreatur begonnen hatte.
    Sohn Tiberius, von der Witwe erzogen, war nicht von altem Schrot und Korn, sondern, wie seine Biographen andeuten, etwas anderes: ein Feuerkopf. Er hatte seine militärischen Meriten hinter sich, war Quästor im Ausland gewesen und hatte sich bei der Zerstörung Karthagos im Jahre 146 ausgezeichnet. Ein Feuerkopf. Während sein Vater einst aus eigener Kraft (Überzeugungskraft) Volkstribun geworden war, verliefen die Dinge bei Tiberius anders. Als er von seiner Quästur nach Rom zurückkehrte, hatte er im Gegensatz zu seinem Vater noch keine besondere Überzeugung. Er schöpfte sie erst aus dem Kreise, in dem er verkehrte. Das waren keineswegs Leute aus dem Volke. Volk kannte er nur von Dienstboten her. Er verkehrte in den Häusern der Scipionen, der Claudier Pülcher, der Aemilianer und des Konsuls Publius Mucius. Lauter Bigs. Zum Teil waren die Häuser einander nicht grün, man redete hier so und dort so, Tiberius redete auch mal so und mal so, bis sich allmählich bei ihm

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