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Cäsar läßt grüssen

Cäsar läßt grüssen

Titel: Cäsar läßt grüssen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Fernau
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Gemüsegarten des Padrone besorgen und ein wenig in der Küche helfen sollte. Die Alte ruft die Frau des Doktors »Elvira«, da sie ja auch mit dem Vornamen angesprochen wird. Es ist klar, daß das nicht so weitergehen konnte; ich meine, mit dem alten Bauern. Er sah es ein und folgte dem Rat seiner Kinder. Er kündigte, sobald sie alle eine andere Bleibe gefunden hatten. Wer wird denn noch auf Bäume klettern, wenn man sich das Olivenöl im Laden kaufen kann.
    Ja, wer wird noch auf die Bäume klettern?
    Das fragte sich auch der Dottore. Aber siehe da, es meldete sich sein alter Bauer. Er ist bereit, im Stundenlohn die Arbeit zu machen »so gut es geht«. Neunzig Bäume schaffte er bis zu dem von der Ölmühle reservierten Mahltermin nicht mehr, und der Dottore sagte ihm, er könne die neunzig Bäume (ca. hundert Liter Öl) auf eigene Rechnung ernten, er schenke sie ihm. Der Alte lehnte ab: »Es lohnt sich nicht für mich. Gegen Bezahlung ja, so nicht.« Ich habe die Antwort mit meinen Ohren gehört. Die Oliven verfaulten.
    Ein Teil der Bäume verwildert jetzt. Ein Teil auch von den Reben. Und alle Felder. Die Privatwege verwuchern. Die Feldsteinterrassen, einst so malerisch wie sonst nur noch in Südfrankreich, stürzen ein. Kein Padrone läßt sie mehr aufrichten. Wozu? Das Gesetz des Zwangsverkaufs hängt wie ein Damoklesschwert über ihnen. Morgen schon kann der neue Gracchus kommen.
    »Erhoffen Sie es?«, fragte ich beim pranzo, als Francesca, die schöne Tochter meines freundnachbarlichen Bauern heiratete. »Ja«, antwortete er. »Und was würde sich für Sie alle ändern, -wenn Sie Eigentümer würden?« Die ganze Tafelrunde lachte. »Wir würden«, sagte er, »es sofort verkaufen.«
    Langweile ich Sie? Welch ein Gemälde, nicht wahr? Tiberius sah es nicht. Er verfluchte die Sklaven, dieselben Sklaven, von denen sein Vater noch achtzigtausend besorgt hatte. Und er sah auch nicht, daß dort, wo unfreie Arbeiter (Sklaven) durchaus gesund zu leben vermögen, auch Freie leben können — wenn sie wollen. Wollten sie?
    Tiberius und seine Kommission warteten die Erfahrung nicht ab, sondern erweiterten ihren Plan in einer Richtung, die nun allerdings ein wesentlicher neuer Anreiz war. Sie versprachen den Neu-Bauern Geld. Erhebliche Summen.
    Tiberius, im Bewußtsein der Macht, beschaffte sich die Mittel, indem er über den Kopf des Senats und der Zensoren hinweg einen Riesenfonds, die sogenannte Attalos-Erbschaft, beschlagnahmte.
    Damit hatte er zum zweitenmal die Verfassung gebrochen. Es kam einem Umsturz gleich, die Regierung war entmündigt. Der Senat schwieg.
    Er schwieg nicht aus Feigheit. Er sah die Alternative Bürgerkrieg oder nicht. Er entschied sich für »nicht«, denn das Ende des Jahres stand bevor und damit das Ende des Volkstribunats von Tiberius Gracchus, der laut Verfassung nicht wiedergewählt werden konnte. Noch kurze Zeit! Noch wenige Monate!
    Dieselben Gedanken befielen Tiberius. Von Stunde zu Stunde wurde er unruhiger, steigerte er sich in Panik, als fürchte er nicht nur für seine Arbeit, sondern auch für sein Leben.
    Es war die blanke Angst, die ihn zu einem Schritt trieb, der sein Ende bedeutete.
    Eines Tages, als auch der Senat — nur wenige Schritte entfernt — in der Curia tagte, trat Tiberius vor die Tributkomitien und verlangte gegen die Verfassung seine Wiederwahl. Er hielt eine Rede, in der er verzweifelt um sich schlug, er forderte »die Fäuste seiner Anhänger« auf, die Gegner zum Schweigen zu bringen, und war — er fühlte es — nahe am Ziel.
    Dies war der Moment, als sich im Senat die Nachricht wie ein Feuer ausbreitete. Der amtierende Konsul, Gracchus-Freund, verkündete auf Antrag der aufgeregten Senatoren den Staatsnotstand — und dann setzte er sich nieder und tat nichts. Diese Geste und das Bewußtsein der einstigen Kumpanei waren der Funke, der zur Explosion genügte. Die Senatoren, Patrizier wie Plebejer, rissen die Schemel auseinander, bewaffneten sich mit Knüppeln, stürmten über die Straße in die Wahlversammlung und entfesselten einen Kampf von solch verzweifelter Erbitterung mit den »Fäusten« des Volkstribunen, daß über hundert Tote auf dem Platz blieben.
    Unter ihnen der Gracche.
    Er hatte sich außerhalb des Gesetzes gestellt und wurde außerhalb des Gesetzes gerichtet.
    Kein Aufruhr, kein Aufstand. Lähmende Stille über der Stadt. Aschermittwoch.

DAS SIEBENTE KAPITEL

ist die logische Fortsetzung des sechsten, und Gaius Gracchus die logische

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