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Cäsar läßt grüssen

Cäsar läßt grüssen

Titel: Cäsar läßt grüssen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Fernau
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seinem Lebensstil nie etwas mit der Plebs gemein hatte, so war sein Bruder Gaius überhaupt der Prototyp eines Feudalherrn. Gewiß hat er sich nie in seinem Leben jemals eine Sandale selbst gebunden und ein Glas Wasser geholt, geschweige denn einen Handschlag für einen anderen getan. Sein Haus war voll von Dienern, die auf seinen Wink warteten. Auf seinen Wink warteten auch sonst viele, denn er war als Mann eine auffallende Erscheinung, als Gesprächspartner sprühend, als Gesellschafter amüsant — wenn er wollte. Und er wollte stets, wenn es sich lohnte. Eine alkibiadeske Figur, ebenso verschwenderisch von der Natur dotiert, nicht so skrupellos wie der Grieche, dafür weniger hellsichtig, und nicht mit dem Anflug von Feigheit, die Alkibiades gezeigt hat.
    Ein Gewächs der Jeunesse dorée, ein reines Feudalgewächs, das sein Leben säuberlich von dem Beruf trennte, den er zu ergreifen gedachte: den Beruf eines Sozialisten.
    Früher — aber das ist schon lange her — habe ich immer geglaubt, es sei nicht nur anständig, sondern Pflicht, seine Lebensanschauung zuerst in seinem eigenen Leben zu verwirklichen und vorzuführen. Inzwischen weiß ich, daß meine Ansicht — weil außerordentlich unbequem — ganz albern ist. Auch bei Simone de Beauvoir, Sartres alter Freundin, finde ich meinen Irrtum bestätigt: »Manche Sittenrichter machen mir meinen Wohlstand zum Vorwurf; wohlgemerkt, nur die Vertreter der Rechten. Nie nimmt man in Linkskreisen einem Linken sein Vermögen übel, selbst wenn er Milliardär ist«. Verzeihen Sie, Madame, »einem Linken« sagten Sie? Und einem »Rechten«? Oder einem »Mittleren«? Und noch eine Frage: Wie kommt der Linke zu einer Milliarde, für die Sie sogar Beispiele anführen? Ferner schreiben Sie ein paar Zeilen weiter: »Das Privatleben ist der marxistischen Ideologie völlig gleichgültig.« Das erstaunt mich, Madame. Ich persönlich zog bisher immer einen Menschen mit noch so falscher Ideologie einem Manne vor, der als private Existenz ein Schwein ist. Ich zog bisher immer einen Menschen, der seine Lebensanschauung bei sich selbst verwirklicht, einem Mann mit Lippenbekenntnis vor.
    Madame, es ist begreiflich, daß Sie in Ihrer Situation so schreiben. Auch Gaius Gracchus würde so geschrieben haben. Nur wäre er klug genug gewesen, einen Nachsatz zu unterdrücken, den ich am Ende Ihrer Lebensbeichte lese und den ich für den bewundernswertesten Ihres ganzen Buches halte: »Das peinliche Gefühl, das sich bei mir eingeschlichen hat, ist nicht verschwunden.«
    Nehmen Sie es nicht schwer, Madame; Hauptsache, die Ideologie stimmt.
    Gaius Gracchus hatte kaum eine andere Wahl, als das ideologische Erbe seines Bruders zu übernehmen. Es war das beste Sprungbrett, das sich ihm darbot. »Doch wie’s da drinnen aussieht, geht niemand was an«. Wer weiß, wie es in ihm aussah?
    Er war um vieles klüger als Tiberius, um vieles nüchterner und um vieles weniger Parzival. Er war ein viel besserer Redner als sein Bruder. Bis zu Cicero galt er als der größte römische Rhetor. Er war durch und durch intellektualistisch; seine ersten Volksreden, mit denen er sich Gehör verschaffte, waren ganz bewußt nur aufwühlende Bilder, mit denen er die Toten des Jahres 133 beschwor. Shakespeare hat in seinem Caesardrama denselben Kunstgriff angewandt, wenn er Antonius wieder und wieder rufen läßt: »Hier, schaut! Hier fuhr des Cassius Dolch herein; seht, welchen Riß der tücksche Casca machte! Hier stieß der vielgeliebte Brutus durch, und als er den verfluchten Stahl hinwegriß, schaut her, wie ihm das Blut des Caesar folgte.«
    Sehr wirkungsvoll. 123 wurde Gaius Volkstribun. Im darauffolgenden Jahre noch einmal, denn inzwischen hatte er dafür gesorgt, daß das Gesetz gegen die Wiederwahl geändert wurde. Er hatte legal dafür gesorgt, er hütete sich, zum Gesetzesbrecher zu werden — mit einer einzigen Ausnahme, und diese eine Ausnahme steht wenigstens in ihrer Ehrlichkeit über dem Verfassungsbruch seines Bruders.
    Über Gaius muß man entweder zwanzig Seiten schreiben oder nur eine. Ich ziehe die zweite Möglichkeit vor. Seine vielen Reformversuche sind ermüdend anzuhören; achtbar, einseitig, unrealistisch, utopistisch. Wenn Gaius zum Beispiel in Afrika Kolonien mit römischen Bauern anlegen wollte (und die ganze Organisations- und Auswanderungsmaschinerie sofort in Gang setzte), so zeigte er sich als absoluter Phantast. Bauern, die zur Not auf eine lohnendere Scholle wechseln, viel lieber

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