Cäsar läßt grüssen
und wir wollen uns bis dahin einen Rundgang aufsparen.
Aber man konnte wenigstens wieder rundgehen, auch nachts. Rom war immer schön gewesen und ist es heute noch, wenn der Mond im Tiber badet oder auf die Pilzköpfe der Pinien fällt. Man fürchtete sich nicht mehr. Man konnte bei offenen Türen schlafen.
Das bedeutet nicht die Welt, gewiß nicht, aber das sind so Sachen, die man ganz gerne hat.
Sulla war jetzt drei Jahre Diktator. Kein gesunder Mann mehr; die Strapazen wirkten nach. Er hatte vom Mithridates-Feldzug aus Asien eine Infektionskrankheit mitgebracht, die ihm zu schaffen machte. Er fand, es sei getan, was zu tun war.
Im Jahre 79 rief er das Volk von Rom zusammen und verkündete ihm, daß er die Diktatur nun niederlege. Er empfahl den Staat der Einsicht des Volkes und das Volk der Einsicht der Macht. Dann winkte er mit einer Handbewegung die Liktoren und die Leibwache weg, stieg von der Rednertribüne und ging allein durch die Menge fort.
Das Volk, Kopf an Kopf, öffnete ihm ehrfürchtig eine Schleuse. Keine Hand erhob sich gegen ihn, kein Dolch. Ungefährdet schritt er an Menschenmauern vorbei durch die Straßen zu seinem Haus. Dort ließ er die Wagen fertigmachen, lud seine Familie ein, bestieg sein Pferd und verließ Rom.
Er besaß in Puteoli (Pozzuoli) bei Neapel ein Gut, auf das er sich zurückzog. Er lebte dort für jede Freundes- und für jede Mörderhand erreichbar. Er lebte so, wie er war: sehr kultiviert, gern im Kreis geistreicher Menschen, auch sinnenfreudig und fröhlich.
Über die Kurzlebigkeit seines Werkes machte er sich keine Illusionen, denn er bekannte, daß dazu der Volkskörper schon zu krank sei. Er war selbstbewußt, aber bescheiden, gütig und zugleich hart, immer aber — wie auch seine Feinde überliefert haben — von achtunggebietender moralischer Autorität. Er lebte nur noch ein Jahr.
Zu seinem Staatsbegräbnis begann eine Völkerwanderung aus allen Teilen Italiens: seine einstige Armee trat noch einmal in Reih und Glied vor ihm an.
Sie fragen, ob Sulla mein Ideal sei?
So dürfen Sie nicht fragen. Es gibt kein »Wer«-Ideal, weil jeder »Wer« ge-timed sein muß; es gibt nur ein »Was«-Ideal.
Mein Ideal ist ein Sulla in einem Staat, der keinen Sulla nötig hat.
DAS NEUNTE KAPITEL
beginnt für einen honorigen Römer sehr ärgerlich: die ersten Dichter und Schriftsteller treten auf. Sie befinden sich natürlich sofort in der bekannten Lage eines unliebsamen Subjekts. Doch die Regierung hat beklagenswerterweise keine Zeit, sich mit ihnen zu befassen, denn gerade jetzt bricht eine tödliche Gefahr herein: der Spartakus-Aufstand, den ich Ihrer besonderen Aufmerksamkeit empfehle.
Sullas Tagebücher, die er von frühester Zeit an führte, und seine Erinnerungen, die er in Puteoli begann, sind verlorengegangen. Aber seine Zeitgenossen haben sie gekannt, sodaß vieles von ihm sich bei späteren Historikern wiederfindet.
Es wird Ihnen aufgefallen sein, daß wir seit den Punischen Kriegen mit authentischem Material recht gut versorgt sind. Damals, nach dem ersten Krieg, hatte Naevius (gest. 201) die Geschichte des Feldzuges geschrieben — Sie erinnern sich: sehr zum Mißvergnügen der Römer. Dann folgte Fabius Pictor mit der Darstellung des Zweiten Punischen Krieges, Zeitgenosse Hannibals. Ihn zu bemäkeln oder auf ihn als »Schreiberling« herabzusehen, ging schon nicht mehr, denn er war ein Fabier, also ältester Adel, Senator und Gesandter. (Nach der Schlacht bei Cannae hatten die Römer ihn zum Delphischen Orakel geschickt, um von der Pythia guten Rat zu holen, auch wenn er teuer war).
Kurzum, mit Fabius Pictor war die Geschichtsschreibung salonfähig geworden. Das aber war, bis zur Zeit Catos auch das Äußerste, was ein ernsthafter Mann tun durfte.
Davon profitierte ein Herr Ennius, eng mit Scipio Africanus befreundet, was ihn so kühn machte, nicht nur eine weit ausholende Geschichte im Stile Homers, die »Annales«, sondern sogar Tragödien zu wagen. Immer noch kümmerte sich keine Seele um Quellen, Zeugnisse und Dokumente aus Roms frühester Zeit. Eine alte Inschrift war für sie Null, Steine blieben für sie stumm, alte Bauten waren alte Bauten und nichts weiter, Erinnerungen im Volk längst überwuchert von Erfindungen und Phantastik. Rom lebte in der Gegenwart, im Militärischen, im Juristischen und im Handel. Es spürte keine Lücke. Bis Sulla waren die Römer ganz egozentrische, gegenwartsbezogene Menschen, deren Geschichtsbewußtsein über ein paar
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