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Cäsar läßt grüssen

Cäsar läßt grüssen

Titel: Cäsar läßt grüssen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Fernau
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Sagen und Mythen nicht hinausging.
    Mit Sulla wurde es schlagartig anders. Wie so oft in Epochen des Konservativismus flammte plötzlich eine wahre Leidenschaft für die Geschichte des Volkes auf. Denn so wenig schwer es ist, der Masse einzuimpfen, daß die Vergangenheit geringer als ein alter Hut sei, so wenig schwer ist es auch, die Jugend das Gegenteil zu lehren.
    Ich sagte, es sei nicht schwer. Aber es ist eine teuflische Sache; sie setzt voraus, daß man Vergleiche nicht zu scheuen braucht. Erklärt man »Vaterland« für komisch und Liebe für eine Variante von Harndrang, dann ist man der Sorge enthoben, als Amöbe entlarvt zu werden. Setzt man die Ideale wieder ein, so werden sie an einem selbst sogleich zu erbarmungslosen Maßstäben.
    Sulla brauchte die Maßstäbe nicht zu scheuen. Das ist nicht mein Urteil allein, das haben alle seine Gegner bezeugt. Er ist der erste in der langen Geschichte Roms, der die Königszeit, diese ängstlich versteckte elektromagnetische Epoche ins Bewußtsein zurückbrachte. Er scheute nicht, er wünschte die Konfrontation! Er wünschte, die republikanische Gründerzeit zu erhellen, er wollte — im Bewußtsein, daß es vielleicht der letzte Moment war — die Geschichte Roms vor dem Versinken in Vergessenheit retten. Er wünschte sich Michelangelos, die die Gestalten der Urzeit in Marmor hauen sollten. Er suchte und förderte. Er erlebte das Ergebnis nicht mehr: Kein Michelangelo, lauter Thoraks.
    Wie die Pilze schossen die Geschichtsschreiber hoch. Keiner von ihnen hatte die geringste Ahnung, die über das hinausging, was jedermann wußte, nämlich fast nichts. Aber sie waren von glühendem, nicht ganz sauberem Eifer beseelt, das Dunkel der Vergangenheit zu erhellen und die Lücken auszufüllen. Das machten sie auf die Weise, daß sie für alle Zeiträume, die dessen bedurften, Gestalten und Ereignisse erfanden. So saßen sie mit Griffel und Täfelchen in der Hand unter der Pergola ihres Häuschens oder am offenen Fenster ihrer Wohnung im dritten Stock und zwitscherten Hübsches, Spannendes, Liebliches vor sich hin: Nachtigallen für Rom. Man sollte wenigstens die Bekanntesten unter ihnen nennen, nicht in dem Sinne, wie man Ranke und Mommsen erwähnt, sondern wie Hauff und Andersen. Es waren die Herren Claudius Quadrigarius, Gaius Macer und Valerius Antias. Es sind die sogenannten »jüngeren Annalisten«. Ihre Kuckuckseier findet man noch siebzig Jahre später in den Büchern des Livius.
    Wo es im Garten des Geistes so hoch herging, wo so viele dem Staate nützliche Pflanzen hochschossen, konnte es gar nicht anders sein, als daß auch das Unkraut sich hervorwagte: die Dichtung. Schon Plautus hatte, als Hannibal erledigt und Rom in Gönnerlaune war, Komödien geschrieben. Kenner der Geschichte sind von der Behauptung nicht abzubringen, daß die Römer sogar gelacht hätten.
    Nach Plautus schaffte Terenz (Terentius Afer, ehemaliger Sklave, gest. 159) den Sprung auf die Bretter, die damals eher die Verbannung als die Welt bedeuteten. Das alles zur Zeit Catos, man möchte es nicht glauben.
    Dann folgt ein Vakuum. In der Hölle des Bürgerkriegs dichtet man außer den Haustüren nichts.
    Nun könnte man fragen: Und was war unter Sulla da? Nur ein paar Säuglinge, die noch in der Wiege lagen, und Knaben, die Murmeln spielten. Sulla regierte übrigens nur drei Jahre, wir wollen es nicht vergessen.
    Aber dann kamen sie: Lukrez (Lucretius), Catull (Catullus), Sallust (Sallustius). Lukrez ist ein philosophierender Epikuräer. Er endete durch Selbstmord. Wie man Epikuräer sein kann, also ein Anbeter der Sinnenfreude und des Genießens, und zugleich Selbstmörder, das erklärt uns ein moderner Literaturhistoriker in einer Literaturgeschichte: »Er lebte unter Sulla, einer Vorgestalt Hitlers, und man kann ihm also seine Umdüsterung nicht verübeln.« Wie böse die heutige Welt doch ist, und wie verlogen! Lukrez, dem wir im übrigen gar nichts »verübeln«, hat von seinen vierundvierzig Lebensjahren Sulla ganze drei Jahre als Knabe erlebt. So sieht dann die Wahrheit aus.
    Er verrät in vielen seiner Verse schon Schwermut; was wissen wir außerdem von seinem privaten Leben? So gut wie nichts.
    Catull, neun Jahre jünger, ist schon um 54 dreiunddreißigjährig gestorben. »Er war eines reichen Mannes Sohn und konnte es sich deshalb gestatten, in Gefühlen zu schwelgen.« (Unser Literaturhistoriker.) Catull ist Roms erster reiner und bedeutender Dichter. Am Grabe des Bruders schrieb

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