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Cäsar läßt grüssen

Cäsar läßt grüssen

Titel: Cäsar läßt grüssen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Fernau
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das Heer das Spiel dieses unbeschriebenen Blattes mit? Wahrscheinlich unterschätzen wir, wie groß der Eindruck war, den Caesar hinterlassen hatte, wie sehr den Soldaten und dem Volk das politische Leben zum Halse heraushing und wie wenig es sich aus dem ewigen Mitquatschen machte. Man kann das Volk nicht unbegrenzt politisch strapazieren, ohne daß es sich eines Tages ödet und das Ruder abgibt.
    Anders ist nicht zu verstehen, was sich Octavian nach seiner Wahl erlauben konnte, ohne daß sich eine Hand dagegen rührte. Mit der drohenden Anwesenheit des Militärs allein ist das nicht zu erklären, sondern nur mit der Erinnerung an Caesar und mit dem Überdruß an der Droge Politik.
    Octavian war kaum Konsul, als er seine Karten aufdeckte. Er annullierte die Begnadigung der Verschwörer, verbot die Bezeichnung »Tyrannenmord«, hob damit die moralische Begründung der Tat auf, machte die Mörder also vogelfrei und rehabilitierte dagegen Antonius. Die Schwenkung um 180 Grad geschah in einer Sekunde, verblüffte jedermann — und interessierte in Wahrheit nicht eine Seele. Die »Zerreißprobe« hatte sich als ein Kinderspiel herausgestellt; nur mußte man es gewußt haben! Octavian, zwanzig Jahre alt, hat es gewußt.
    Sie müssen ihn als Gestalt richtig sehen. Schlagen Sie sich die Statuen aus dem Kopf, sie sind alle idealisiert. Octavian war ziemlich klein, wirkte aber gut proportioniert; von Geburt an besaß er jene zerbrechliche Gesundheit, die ein langes Leben verspricht. In der Jugend hatte er sich weiter verweichlicht, ein bläßlicher, magenempfindlicher Jüngling mit lückenhaften schlechten Zähnen und am ganzen Körper verpickelt. Er litt an Hautjucken, an Gallenschwellung und von Zeit zu Zeit sehr schmerzhaft an Nierensteinen; die Sehkraft des linken Auges ließ schon nach, und auch das linke Bein zeigte sich schnell überanstrengt und schleppte dann leicht hinterher. Er hatte Kreislaufstörungen, die mitunter seine Finger absterben ließen; wie manche blonde Typen (er hatte seidiges helles Haar) vertrug er keine Sonne, auch nicht im Winter. Er vertrug auch keine Kälte; jedes Jahr befiel ihn ein-, zweimal die Grippe. Reiten vermied er, wo es nur ging, statt dessen ließ er sich in der Sänfte tragen. Er war zaghaft, etwas hypochondrisch und feige, er ängstigte sich bei jedem Gewitter; die blanke Waffe erschreckte ihn, und bei Übungen machte er eine klägliche Figur. Aber alles überstrahlte sein Gesichtsausdruck, der heiter, gelassen und von scheinbar herzlichster Offenheit sein konnte. Tatsächlich war er zu jener Zeit noch ein komplettes Ekel, das Freund und Feind verriet, ein Scheusal, das den Kopf des später von ihm besiegten Marcus Brutus (»tu quoque, Brutus«) abzuschlagen und nach Rom zu schicken befahl und das nach der Einnahme einer Stadt den dreihundert Geiseln, die um ihr Leben baten, gefühllos wie ein Jakobiner antwortete: »Es muß gestorben werden!«
    Haben Sie ihn gut vor Augen? Bringen Sie diesen bläßlichen maroden jungen Mann nicht mit irgendeiner Ideologie in Verbindung, er kannte, genau wie Caesar, keine, er war auch entschlossen, sich mit keiner zu beschäftigen. Das verwunderte schon seine Zeitgenossen, die seit Marius gewohnt waren, daß ein Zwanzigjähriger Schaum vor dem Munde hatte. Sie schlossen daraus, daß Octavian im Grunde genommen unpolitisch sei und nur eine gewisse Rolle spielen wolle.
    So schlug er, zunächst ungestört und unbeargwöhnt, seine Volten. Mit der größten Frechheit beschwatzte er die Volksversammlung, gegenüber dem Senat mal auf die Pauke zu hauen und eine Kommission einzusetzen, die »die inneren Verhältnisse endlich neu ordnen« sollte. Mit der größten Frechheit nominierte er dafür sich selbst, ferner Antonius und als dritten Lepidus. Punkt, erledigt, noch ehe der Paukenton verklungen war.
    Damit gab er eigentlich nur bekannt, was unter den drei Militärmachthabern längst beschlossen war. Der papaliche Lepidus, siebenundvierzig Jahre alt, unter Caesar einst Konsul und Oberbefehlshaber der Reiterei, war derselbe Lepidus, der den flüchtenden Antonius in seinem Lager aufgenommen hatte. Die Zusammenstellung der Kommission war etwas verwirrend für das Volk, aber sie hatte auch was für sich: Jeder schien ein Gegengewicht zum anderen, jeder schnitt den anderen von Machtbildungen ab, Lepidus war ein solider Kontrolleur: ein offizielles Triumvirat schien besser als ein geheimes. Man sagte Ja und Amen. Heute fragt man sich natürlich, wozu das alles

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