Cäsar
Handels und Nachschubstraßen, in der mit dem Mord an römischen Händlern und Bürgern der gallische Aufstand vor über einem halben Jahr begonnen hatte, war wichtig und mußte unbedingt gehalten werden.
Und sobald die Stadt und die Straßen sicher waren, würde Kalypso nachkommen.
Orgetorix begleitete ihn, zusammen mit anderen Galliern »Er will mich zum Fürsten machen - wieder zum Fürsten erheben«, sagte er. »Aber das ist noch zu früh; mein… der Stamm muß sich zuerst an die Endgültigkeit des Neuen gewöhnen.«
»Wahrscheinlich hast du recht. Jetzt, heute, würdest du nicht länger als einen Tag überleben.«
Orgetorix schüttelte den Kopf. »Zwei.«
»Überschätze nicht deine Wachsamkeit. «
Der Gallier lächelte traurig. »In der ersten Nacht würden sie mir so etwas wie Gastrecht gewähren. Danach…«
Die Zustände in Cenabum waren erträglich. Die Besatzungstruppen hatten entweder sehr hart durchgegriffen oder sich sehr beliebt gemacht; Aurelius zog es vor, keine Fragen zu stellen. Er hatte jedoch den Eindruck, daß die Bewohner nicht betrübt waren, die bisherigen Truppen abziehen zu sehen. Orgetorix half ihm, mit den Ältesten und Edlen etwas auszuhandeln, was beiden Seiten nützlich erschien. An wichtigen Punkten legte er Besatzungen in Häuser. Selbstverständlich waren Römer für Mauern und Tore zuständig; die inneren Abläufe und die Verwaltung des Orts überließ er den Einheimischen, die zunächst jeden Tag, später jeden dritten Tag zu berichten und alle wichtigen Entscheidungen ihm vorzulegen hatten.
Bald nach der Ankunft schickte er die Hälfte der Reiter und eine Kohorte nach Agedincum. Sie sollten feststellen, wie dort die Lage und ob die Verbindung sicher war. Danach verkehrten regelmäßig Boten zwischen Cenabum und Agedincum, und den zweiten Botentrupp - natürlich wanderte niemand allein durchs Land - begleitete Catullus.
Aurelius erschrak, als er den Dichter wiedersah. Er war bereits ausgezehrt und bleich gewesen, als sie sich voneinander verabschiedeten; der Mann, der ihm abends gegenübersaß und sich am Weinbecher festhielt, war weiter geschrumpft, Schatten eines Schattens geworden oder Gespenst eines Gespensts.
»Die Verwalter der unteren Finsternis werden dich nicht einlassen«, sagte Aurelius. »Sie werden bei deinem Anblick vor Angst mit den Gebeinen schlottern.«
Catullus bleckte die verfärbten Zähne. Dann hustete er in ein rotgesprenkeltes Tuch. Als er wieder zu Atem gekommen war, sagte er mühsam: »Freund Aurelius, deine Rede ist Balsam in meinen Ohren. Ich hatte schon befürchtet, nicht so gräßlich auszusehen, wie ich mich fühle. Dann wäre die innere Scheußlichkeit gewissermaßen vergeudet, und ich habe nichts mehr zu vergeuden. Nur dies.«
Aus einem Reisebeutel, den er zum Begrüßungstrunk mitgebracht hatte, zog er eine umwickelte Rolle und reichte sie Aurelius.
»Was ist das?«
»In Agedincum gibt es ein paar Gallier mehr als zur Zeit deines Aufbruchs. Ein Pergamentmacher ist dabei - frag mich nicht, was ein Pergamentmacher hier am Spundloch des Weltafters sucht.«
Aurelius entrollte die Blätter aus dünnem, geschabtem und gegerbtem Kalbsfell. »Verse?« sagte er erstaunt. »Ich dachte, du…«
Catullus unterbrach. »Du dachtest richtig. Aber aus reiner Langeweile habe ich den Unsinn, den ich unterwegs hin und wieder abgesondert habe, aufgeschrieben. Tu mir einen Gefallen.«
»Welchen?«
Catullus hustete wieder; dann sagte er heiser: »Wenn du magst, lies die Gedichte. Sie taugen nicht viel, aber vielleicht erheitern sie dich. Und wenn ich das Loch gefunden habe, durch das mich die schwarzen Dämonen in die Anderwelt zerren werden, verbrenn alles, hörst du?«
In den nächsten Tagen blühte Catullus förmlich auf. Wein, von Aurelius und seinen Leuten mitgebracht, richtiges Brot hin und wieder puls, der eine oder andere Fisch aus dem Liger Früchte und Öl, das noch nicht »wie die ranzigen Füße einer Greisin schmeckt, die vor lauter Schweifen das Sterben vergessen hat«, gaben ihm ein wenig Lebenskraft - aber Aurelius wußte, wie Catullus selbst, daß es ein letztes Aufflackern des niederbrennenden Feuers war.
»Caesar schätzt mich also?« sagte der Dichter eines Tages im Spätherbst, als sie aus der Burg von Cenabum die Sonne sich im Abenddunst verformen sahen und Wein darauf tranken, daß sie wieder aufgehen möge. »Das schwarze Schwein… der Unhold schätzt mich? Nun ja. Ich wüßte aber gern, wie er wissen konnte, wer ich
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