Cäsar
zu erstarren. »Vergangenheit«, sagte sie leise, fast unhörbar; sie schloß die Augen. »Ein Bruder, eine Schwester, drei und fünf Jahre jünger als ich. Als ich sechzehn war und einige Tage in Praeneste verbringen mußte, habe ich sie in Rom gelassen, mit einer Dienerin. Als ich zurückkam, lag die Dienerin tot im Gang, erstochen, und die beiden waren verschwunden.« Sie öffnete die Augen wieder und seufzte. »Ich hätte sie nicht zurücklassen dürfen. Aber… Vergangenheit. Reden wir von etwas anderem.«
»Die Vergangenheit wirft Schatten auf die Gegenwart. Deine Gegenwart hier ist mir unvergleichlich kostbar.«
Sie lächelte matt, hob seine Hand an die Lippen und hauchte einen Kuß darauf. »Was ist deine Zukunft, Aurelius? Kannst du teilen?«
Er lauschte in sich hinein. Natürlich gab es dort ein Widerstreben, ein Begehren, das Kostbarste als einziger genießen zu können. Nicht mit Männern wie Milo oder Volturcius zu teilen. Aber.
»Meine Zukunft liegt in Caesars Händen«, sagte er. »Und teilen? Solange ich nicht wissen muß, mit wem und unter welchen Umständen:.. Aber wer bin ich denn, welches Recht hätte ich, Forderungen zu erheben?«
Sie stand auf, kam zu ihm, nahm sein Gesicht in beide Hände und küßte ihn. »Wenn du gesagt hättest, es sei dir gleich, gäbe es keine Zukunft. Es wäre entweder Lüge, oder dir läge nichts an mir… an uns.«
Er legte die Hände an ihre Hüften und zog sie auf seinen Schoß. »Mach weiter«, sagte er heiser. »Gibt es also eine Zukunft?«
»Wenn die Götter es wollen und Caesar es nicht verhindert Komm.« Sie stand auf und nahm seine Hand. »Hast du die Kraft zu einer dritten Reise? Damit du weißt, was dir ohne diese geteilte Zukunft entgeht.«
Zwei Tage später befahl Caesar ihn zu sich. Vorübergehend hatte er seinen Stab in einem der ehemaligen Belagerungskastelle untergebracht. Die Stadt und die Burg Alesia waren noch nicht nutzbar; Soldaten und Gefangene würden, soweit Aurelius gehört hatte, noch mehrere Tage brauchen, um wenigstens die wichtigsten Gebäude zu säubern und herzurichten.
»Aulus Hirtius ist ein verschwiegener Mann«, sagte Caesar zur Begrüßung. Er lehnte mit dem Gesäß an der Kante eines von Papyri übersäten Tischs. Neben ihm stand ein Becher mit einer dampfenden Flüssigkeit - Fleischbrühe, dem Duft nach.
»Ich kann aber«, fuhr Caesar nach einer Pause fort, »das Schweigen zwischen den Wörtern hören. Und ausweichende Antworten auf bestimmte Fragen deuten.«
Aurelius schwieg; was hätte er auch sagen sollen?
Caesar lächelte plötzlich. »Ehrliche Mißbilligung meiner Pläne ist nicht unvereinbar mit Zuverlässigkeit. Bisher konnte ich mich auf dich verlassen. Dir steht der Sold für ein halbes Jahr als Marschpräfekt zu. Ich will dich auszahlen und von deinem Eid befreien. Aber ich brauche gute Männer. Willst du mir weiter dienen, ohne Eid, bis deine Mißbilligung alles andere überwiegt? Unter der Bedingung, daß du die, ah, Kündigung laut aussprichst, bevor du nicht mehr für mich arbeiten magst - oder gegen mich zu arbeiten beginnst?«
Noch immer ein wenig verblüfft, brach Aurelius zwei Tage auf. Zu seinem Staunen trug auch eine Bemerkung Caesars bei, die dieser bei der Besprechung der Aufträge gemacht hatte.
›Deine Anwesenheit in Cenabum ist nicht unausgesetzt forderlich. Ich überlasse es dir, die Sicherheit einzuschätzen.«
»Danke, Imperator. Aber wohin sollte ich reisen wollen?«
»Deinen hustenden Freund aus Agedincum holen vielleicht?« Ein kaum zu deutendes Lächeln, ironisch und bedauernd und noch einiges mehr; dann: »Er wird sterben, nicht wahr? Schade um ihn; offenbar haben die Götter Sehnsucht nach ihm. Sag ihm, ich hätte ihn geschätzt, auch wenn er sich nicht um mein Gefallen bemüht hat. Vielleicht weiß er inzwischen, ob ich schwarz oder weiß bin.«
Dies war, fast wörtlich, ein gegen Caesar gerichtetes höhnisches Distichon von Gaius Valerius Catullus. Der Dichter sagte, sie seien einander nie begegnet. Vielleicht hatte ihn jemand aus Caesars Gefolge erkannt; Aurelius hielt es aber für wahrscheinlicher, daß Caesar mit seinem Gespür für Menschen ihn einfach irgendwie… erfaßt hatte. Nur wie?
Sein Auftrag war es, mit sechs Kohorten - teils erfahrene, teils neue Leute - und ein paar turmae Reitern Cenabum zu sichern und die dort zurückgelassenen Soldaten abzulösen, die sich nach Alesia begeben sollten. Die Stadt am großen Fluß Liger, am Schnittpunkt mehrerer wichtiger
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