Cäsars Druide
keltische Kavallerie verließ den Schauplatz. Cäsar war besiegt! Bald würden Pferde seinen verstümmelten Körper über die Ebene schleifen.
Aber noch tobte die Schlacht.
Fast ungläubig beobachtete ich aus sicherer Entfernung das grausige Schauspiel. Ich flehte die Götter an, Cäsar ein letztes Mal beizustehen. Denn würde Cäsar heute fallen, würden alle Überlebenden von den Nerviern versklavt werden. Mein Schicksal war untrennbar mit Cäsars Kriegsglück verbunden. Den Nerviern war es doch völlig egal, ob ich ein keltischer Rauriker war oder ein Römer!
Plötzlich entdeckte ich Cäsar im Schlachtgetümmel. Ich erkannte ihn an seinem purpurroten Feldherrenmantel. Er entriß einem Legionär den Schild und stürzte sich wild gestikulierend in die vorderste Reihe. Offenbar feuerte er seine Männer an. Und tatsächlich, es war so, als flöße Cäsar seinen Männern neue Kraft ein. Überall wo der flatternde rote Feldherrenmantel auftauchte, stabilisierten sich die Reihen, formten sich erneut zu Kampfverbänden und begannen die Feinde, wenn auch sehr langsam, zurückzudrängen. Unterdessen hatten zahlreiche Geiseln, die im Troß mitgeführt wurden, die wenigen Bewacher, die noch zurückgeblieben waren, erschlagen. Sie erbeuteten Reservepferde und ergriffen die Flucht. Dort, wo das Schlachtfeld mit Leichen übersät war, aber nicht mehr gekämpft wurde, erschienen immer mehr Troßknechte und Sklaven, die sich wie Aasgeier über die Leichen hermachten. Doch manch einer, der einem Toten gierig den goldenen Torques vom Hals riß, wurde von einem Pfeil niedergestreckt oder von Axthieben in Stücke gehauen.
Im Laufschritt erschienen die zwei Legionen, die die Nachhut des Trosses gebildet hatten. Sie hatten offenbar die zahlreichen Fahnenflüchtigen gesehen und den naheliegenden Schluß gezogen. Ihr Erscheinen gab den arg geschundenen Legionären neuen Auftrieb. Jetzt hatten die Nervier zwölftausend frische Soldaten im Rücken. Sie realisierten sofort, daß sie keine Chance mehr hatten. Dennoch kämpften sie weiter, und wenn der vorderste Mann tödlich verwundet zusammenbrach, rückte der Kelte dahinter nach und kämpfte weiter. Mittlerweile waren Tausende von Leichen zu regelrechten Wällen geworden, auf denen immer noch Kelten kämpften. Keiner verließ das Schlachtfeld. Die Römer hatten zu geordneten Formationen zurückgefunden. Daß selbst die Troßknechte und Sklaven zurückeilten und nun ins Schlachtgeschehen eingriffen, zeigte, daß jeder wieder an einen römischen Sieg glaubte.
Und Rom siegte. Einmal mehr hatten die Götter Cäsar begünstigt.
Cäsar ging im Schreibzelt hin und her und beobachtete mich dabei nachdenklich. Die Zählungen auf dem Schlachtfeld und die Befragung der wenigen überlebenden Nervier hatten ergeben, daß von sechshundert Adligen nur drei überlebt hatten. Von sechzigtausend Kriegern konnten nur noch fünftausend in die Sklaverei verkauft werden. Die Zahlen paßten Cäsar nicht.
»Nein«, sagte Cäsar, »schreib, daß von sechzigtausend Nerviern nur fünfhundert überlebt haben. Ich denke, Rom will die Zahl von fünfhundert Überlebenden.«
»Rom?« grinste ich. »Ich vermute eher, daß du den Erlös von viertausendfünfhundert Sklaven unterschlagen willst.«
»Was kümmern mich meine Schulden, Druide? Wenn die Nachwelt eines Tages über meine Taten berichtet, wird sie nicht über meine Schulden urteilen, sondern über meine Siege.«
Während er noch das zweite Buch des gallischen Krieges diktierte, erhielt Cäsar die Meldung, daß ein keltisches Heer den Nerviern hatte zu Hilfe eilen wollen. Es waren Aduatucer. Als sie von der Ausrottung der Nervier erfuhren, verschanzten sie sich in ihren Festungen. Cäsar ließ Mamurras Sturmlauben und Türme vorfahren, und die Aduatucer, die am Tage zuvor die römischen Legionäre noch als Zwerge verspottet hatten, ergaben sich kampflos. Über fünfzigtausend wurden in die Sklaverei verkauft. Und Cäsar plante bereits den Feldzug für das dritte Kriegsjahr.
»Soldaten«, rief Cäsar, als er anläßlich des großen Lagerfestes vor seine Legionen trat, »Gallia est pacata!«
Gallien ist befriedet? Na ja, nicht ganz. Aber seine Soldaten brüllten ihr »Ave Caesar!« in den Himmel hinauf, als wollten sie die Götter auf ihren Feldherrn aufmerksam machen.
»Soldaten! Ihr seid mir gefolgt in diese Wildnis, in dieses barbarische Land, das kein römischer Kartograph jemals erfaßt hat. Wir begegneten wilden Stämmen, die uns fremd und feindlich
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