Cäsars Druide
opferte den Wassergöttern. Er nahm seine Sandalen in die Hand und sagte, daß wir nach diesen Weiheopfern nun die Selago pflücken dürften. Es war schon erstaunlich, mit welcher Zielstrebigkeit er die einzelnen Pflanzen aufstöberte. Die Selago fand er inmitten eines verwilderten Himbeerbusches.
»Um die Selago zu pflücken, darf man ebenfalls keine eiserne Klinge benutzen. Man muß mit der rechten Hand links unter das Gewand greifen, als ob man etwas stehlen wolle. Außerdem muß man weiß gekleidet sein, mit gewaschenen Füßen barfuß gehen und zuvor ein Brot- und Weinopfer dargebracht haben.«
Mit seiner goldenen Sichel, dem Symbol der goldenen Sonne und des sichelförmigen Mondes, schnitt er eine Selago ab. Das war eine Pflanze, die andere Völker im Volksmund ›Bärlapp‹ nennen.
»Die Selago«, sagte Verucloetius, und seine Stimme hatte etwas Melodiöses, Enthusiastisches, »die Selago ist die Pflanze der dunklen, geheimnisvollen Kräfte. Damit diese Kräfte beim Pflücken erhalten bleiben, muß der Druide mit nackten Füßen auf der Erde stehen. Während die rechte Seite stets die Seite des Lichts ist, bleibt die linke Seite stets die Seite der Mysterien und Schattenwelten. Die Selago kochst du in heißem Wasser. Aber denke daran: Das Wasser muß kalt und frisch sein, wenn du die Selago hineintust. Du darfst sie nie in kochendes Wasser legen!«
Ich nickte und fragte, welche Wirkung die Selago denn hätte.
Verucloetius lächelte still vor sich hin. Nach einer Weile sagte er: »Die Selago kann heilen und töten. Wenn die Götter dich auserwählt haben, um durch deine Hände zu sprechen, wird der Sud, den du zubereitest, heilen oder töten.«
Verucloetius legte auch die Selago in ein weißes Tuch und schnürte dann seine Sandalen.
»Ich zeige dir jetzt, wo man das Eisenkraut findet. Es lindert Schmerzen. Es läßt dich alles vergessen, was ist. Deshalb nutzen wir es auch für Weissagungen. Aber sei vorsichtig, Korisios! Denn nutzt du das Eisenkraut zu oft, wirst du für spätere Weissagungen immer mehr davon brauchen. Das Eisenkraut ist mächtig. Sehr mächtig! Es hat schon manchen Druiden zum Sklaven gemacht.«
Wir gingen weiter durch den Wald. Der Druide pflückte das Eisenkraut, das er ebenfalls in ein weißes Tuch wickelte. Er zeigte mir die Bäume, wie ich sie bisher noch nie gesehen hatte. Er zeigte mir die Wurzeln, die Rinde, die Äste und Blätter und erzählte, zu welcher Jahreszeit und zu welcher Tages- oder Nachtzeit es erlaubt war, welche Handlungen vorzunehmen. Und was man bei Vollmond besonders beachten mußte. Darauf summte er die heiligen Verse über die Schlacht der Bäume und Sträucher, einst stolze Krieger, die zu ihrem eigenen Schutz in Bäume und Sträucher verwandelt worden waren. Jetzt begriff ich auch, wieso ich manchmal, wenn ich alleine im Wald war, das unbestimmte Gefühl hatte, inmitten von Tausenden von Menschen zu stehen, die mich stumm beobachteten. Ich hatte den Eindruck, in ein weiteres Geheimnis eingeweiht worden zu sein. Jetzt verstand ich auch besser, wieso das Wort Druide eine Zusammensetzung aus ›Wald‹ und ›Wissen‹ war. Unser gesamtes Wissen war in den Wäldern.
Wanda hatten wir in dem abgebrannten Gehöft zurückgelassen. Bei unserer Ankunft sah Verucloetius wohl, wie meine Augen Wandas Körper beim Wiedersehen liebkosten. Er schloß für einen Augenblick die Augen und teilte mir dann mit, daß es für mich noch zu früh sei, ins heilige Druidenzentrum auf der Insel Mona zu gehen. Noch sei mein Durst nach irdischen Dingen groß und ungestillt. Ich würde ein besserer Druide werden, wenn ich mich zuvor noch in der Welt umsehen würde. Es sei für mich noch zu früh, dem Irdischen, das mich derart faszinierte, den Rücken zu kehren.
»Ich sehe, daß die Götter in dir wohnen, Korisios, ich bin auch überzeugt, daß die Götter mit dir etwas Besonderes vorhaben, aber vergib mir, wenn ich dir heute nicht sagen kann, was es ist. Ich sehe so vieles in deinen Augen. Ich sehe den Seher und Heiler, ich sehe aber auch den feurigen Liebhaber und Genießer. Ich sehe, daß sich die Götter noch nicht einig sind.«
Er legte seine Hand auf meinen Kopf und schloß die Augen. Dann reichte er mir die drei kleinen weißen Tücher mit den Kräutern und ermahnte mich, sorgfältig mit meinem Wissen, so klein und bescheiden es auch noch sein mochte, umzugehen.
»Bedenke stets, Korisios, daß man die Geister, die man ruft, so schnell nicht wieder los wird.«
Er zögerte
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