Cäsars Druide
germanischer Sprache mehr über die Götter und Bräuche ihres Volkes. Der alte Santonix hatte schon recht gehabt: Je mehr man weiß, desto interessanter ist es, sich weiteres Wissen anzueignen, weil man jede Einzelheit in immer vielschichtigere Zusammenhänge einfügen kann. Ich war süchtig nach Wissen und stolz, es wiedergeben zu können. Mein Onkel Celtillus hatte mich nicht umsonst die lebende Bibliothek Alexandrias genannt. Und in der Bibliothek Alexandrias war immerhin das gesamte Wissen der Menschheit gesammelt. Ich hatte ein ausgezeichnetes Gedächtnis und konnte Dinge, die ich einmal gesehen, gehört oder gelesen hatte, für immer speichern. Das ist bei allen Druiden so. Es ist dieses stupide Auswendiglernen von Tausenden von Versen, die uns zu wahren Gedächtniskünstlern macht. Wenn sich jemand sechstausend Verse merken kann, kann er sich auch sechzigtausend Verse merken. Es ist wie ein Muskel, den man trainiert. Aber auch Wanda brachte mir viel bei. Leider sprachen wir nie über sie. Auch nicht über uns. Es schien mir, als würde sie ganz bewußt darauf achten, keine Gefühle zu zeigen. Nur einmal, da bedankte sie sich aus heiterem Himmel dafür, daß ich sie bei Divico nicht getauscht hatte. Ich werde den Blick, den sie mir dabei zuwarf, wohl nie vergessen. Mein Gesicht war plötzlich so heiß, als hätte ich Glühwein getrunken. Selbstverständlich habe ich sie barsch zurechtgewiesen. Eine Frau kann sich bei ihrem Ehemann bedanken, aber doch nicht eine Sklavin bei ihrem Herrn. So was ist eine absolute Frechheit! Ich wollte sie gerade beschimpfen, als ich ihre lachenden Augen in ihrem strahlenden Gesicht sah. Dabei hätte ich geschworen, daß ich sehr ernst und ärgerlich dreinblickte. Es blieb mir nichts anderes übrig, als meinem Pferd die Fersen in die Flanken zu drücken und die Flucht zu ergreifen. Ich gesellte mich wieder zu Verucloetius. Er lächelte, als er mein Gesicht sah.
Unterwegs trafen wir etliche Pioniertrupps, die Divico ausgeschickt hatte, um Wege und Brücken instand zu setzen. Einzelne Dörfer waren bereits niedergebrannt und aufgegeben worden. Auf den Straßen sammelten sich immer mehr Menschen, Karren und Tiere, die südwärts zogen. Es herrschte eine ausgelassene Stimmung. Für Kelten sind Völkerwanderungen genauso natürlich wie Seelenwanderungen. Wir empfinden es nicht als Verlust, unsere Heimat aufzugeben, so wie wir auch den Tod nicht als Verlust, sondern lediglich als Neubeginn betrachten. Unsere Häuser sind deshalb nie für die Ewigkeit gebaut.
Die Planung dieses Marsches war eine Meisterleistung. Divico hatte nichts dem Zufall überlassen. In regelmäßigen Abständen begegneten wir bewaffneten Truppen, die mit Kriegsmaterial und Zelten beladene Ochsenkarren begleiteten. Obwohl jeder sein persönliches Hab und Gut mitführte, hatte Divico auf seine Kosten auch Überschüsse aller Art mitführen lassen, denn der eine oder andere würde unterwegs vielleicht seine ganze Habe verlieren, und Divico wollte nicht, daß auch nur ein einziger Kelte auf den Gedanken kam, zu plündern. Deshalb ließ er zusätzliche Nahrungsmittel mitführen. Je näher wir unserem Etappenziel kamen, desto größer wurden die Kolonnen, die sich bereits gebildet hatten. Es war eine schier unüberschaubare Zahl an Wagen, Menschen und Tieren. Gemeinsam bildeten sie bereits eine Schlange von schätzungsweise dreißig römischen Meilen. Die Menschen waren ruhig und heiter, als würden sie bloß mal kurz ins nächste Dorf gehen.
Unterwegs redete ich viel mit Wanda. Über die Heilkunst der Germanen, über ihre Götter und die Gestirne. Doch Wanda selbst blieb mir ein Rätsel. Woher kam sie? Ich wußte es nicht. Manchmal schien es mir so, als sei ihre wahre Identität das letzte Stückchen Intimität, das sie sich bewahren wollte. Es war eine Frage der Würde. Ich weiß, man soll das achten. Auch bei einer Sklavin. Doch als ich einmal, aufgrund einer falschen Aussprache, eine ziemlich obszöne Behauptung aufstellte, schenkte mir Wanda erneut dieses wunderschöne Lachen, das mich jedes Mal von neuem verzauberte. Ich packte die Gelegenheit beim Schopf: »Mein Onkel hat dich auf dem Markt des raurikischen Oppidums am Knie des Rhenus eingekauft. Aber woher kommst du eigentlich. Von welchem Stamm?«
Wandas Lippen wurden schmäler. Sie schaute mich etwas abschätzig, ja fast mitleidig an, und ich vermißte jene Wärme in ihren Augen, die mir so oft die Hitze in den Kopf steigen ließ.
»Ich bin deine Sklavin,
Weitere Kostenlose Bücher