Café der Nacht (German Edition)
die begannen, ihn langsam in den Schlaf zu wiegen, ob er wollte, oder nicht. Noch als er in den Schlaf hinüber glitt, begleitete ihn nur ein Gedanke. Ariel war tot. Und es war alles seine Schuld.
* * *
Monroe war, vermutlich als einziger Einwohner des Viertels, nicht auf Ariels Beerdigung gewesen. Er hätte dieses Theater nicht ertragen, das salbungsvolle Gerede des Grabredners, die mitfühlenden Worte. Beileid. Beileid war ein seltsames Wort. Als ob man es beschämt erfunden hätte, weil Mitleid so grauenvoll klang.
Ariels Selbstmord hatte ihn nicht wirklich überrascht. Irgendwie hatte er gewusst, dass es so enden würde, seit dem Moment vor vielen Jahren, in dem Vida Ariel zum ersten Mal nach einer Panikattacke gefunden hatte. Ein Todgeweihter erkennt den anderen. Als Monroe den Friedhof betrat, zwei Tage nach der Beerdigung, war es früher Abend und in der Krone einer Buche sang eine Amsel. Der Himmel war ein Aquarell aus blassblau und rosa. Monroe zog an seiner Zigarette und inhalierte den aromatischen Rauch. Er hatte nichts gegen Friedhöfe per se. Die Vorstellung, eines Tages von Maden und Würmern zerfressen zu werden, bereitete ihm keinerlei Unbehagen. Im Gegenteil, es hatte etwas Beruhigendes, in den natürlichen Nahrungskreislauf zurückzukehren. Wenn es ein Leben nach dem Tod gab, dann war es vermutlich das.
Der weiße Kies knirschte unter seinen Schritten. Er kam an ein paar alten Frauen vorbei, die penibel die Gräber ihrer Ehemänner pflegten. Es war leicht, Ariels Grab zu finden. Fast obszöne Berge von Kränzen und Blumen türmten sich darauf. Als ob man hätte sicherstellen wollen, dass er da nicht wieder rauskam. Monroe schnippte seine Zigarette weg. Er betrachtete die üppigen Blumengaben eine Weile und studierte, wer da so alles sein Beileid bekundete. In Liebe und Dankbarkeit, Gloria Wallerhoven. Er schnaubte leise. „Miststück.“
Er fühlte sich leer, wie innerlich taub. Er glaubte nicht an Schuldzuweisungen. Er wünschte, er hätte Maxim das klarmachen können. Auch Vida hätte es letzten Endes nicht verhindern können. Nur hinauszögern. Manche Menschen zieht der Tod an, Stück für Stück, Tag für Tag, bis er sie verschlingt. Er war sich nicht sicher, ob man um jemanden trauern sollte, der sich freiwillig entschieden hatte, zu gehen. Das war schon okay. Ariel hatte, was er wollte. Gut für ihn. Dumm daran war nur, dass es wehtat. Und es tat verdammt weh.
Monroe griff in seine Hosentasche. Er zog vorsichtig Vidas Kette heraus. Es war das Einzige, was er von ihr behalten hatte. Er klappte das Silbermedaillon auf und betrachtete Ariels meisterhaftes Miniaturselbstportrait. Die Abendstimmung warf ein warmes, rosafarbenes Licht herab. Ariel war schön gewesen, eine wunderschöne Seele. Die Welt ist für solche Seelen nicht gemacht. Er erinnerte sich an den Klang von Ariels Stimme, an das weiche Geräusch seines Zeichenstifts auf dem Papier. An diesen entrückten Blick in seinen Augen, wenn er arbeitete. Ariel hatte Momente des Glücks gekannt. Und er hatte andere glücklich gemacht, ohne es auch nur zu ahnen. Es schmerzte wie ein Stich ins Herz, ihn zu verlieren. Es war jedes Mal so schwer zu begreifen, wie jemand plötzlich fort sein konnte, und niemals wiederkam.
Monroe ging langsam in die Hocke. Er schob ein Gesteck beiseite und grub seine Hand tief in die aufgehäufte Erde. Er warf noch einen letzten Blick auf das Portrait, schloss den Deckel und versenkte das Medaillon behutsam in der Kuhle. Er drückte die Erde fest und rückte das Gesteck wieder zurück an seinen Platz. „Du hast es in den Klub 27 geschafft, Ari“, sagte er weich. „Grüß Morrison von mir.“
Er erhob sich und wischte den Dreck geistesabwesend an seiner Jeans ab. Er betrachtete den orangeglühenden Sonnenball, der am Horizont versank. Da lag etwas im sanften Wind, das davon flüsterte, dass es Zeit war, weiterzuziehen. Wenn er blieb, würde er es nicht mehr lange schaffen, Max nicht zu küssen. Er würde ihn verletzen, manchmal mit Absicht, meistens nicht. Er würde ihn unweigerlich hineinziehen in seine schmutzige, dunkle, abgestumpfte Welt. Und Maxim war viel zu gut für diesen Mist. Er hatte weiß Gott etwas Besseres verdient, als ihn. Vor allem eine Zukunft und ein eigenes Leben. Die konnte er mit ihm nicht haben. Ja, es war Zeit. Höchste Zeit.
* * *
„Ich werde von hier weggehen.“
Maxim sah überrascht auf, als Monroe mit dieser Ankündigung sein Pensionszimmer betrat.
„Wie,
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