Café der Nacht (German Edition)
Heim und Hafen für Bohemiens war das alte Münchner Haus einst gewesen. Tagsüber ein gemütliches, nicht ungewöhnliches Kaffeehaus, oben im zweiten Stock eine kleine Pension. Ein Stammcafé von Literaten, Malern und Taugenichtsen, die ihre Zeit diskutierend hinter dicken Schwaden von Zigarettenrauch verbracht hatten. Erst abends, wenn die blaue Dämmerung sich senkte, hatte schließlich die berüchtigte Künstlerkneipe im Kellergewölbe geöffnet. Dort hatte sich das Theatervolk der Gegend getroffen, um ausgelassen zu feiern. An diesem Ort wurden Ikonen geboren. Ikonen, die heute, ganze zwei Jahrzehnte später, überlebensgrößer strahlten, als je zuvor.
Maxim nahm das schwere, teuer bebilderte Buch zur Hand, das vor Jahren ein Journalist über das Café geschrieben hatte. Viele der großartigen Schwarzweißfotografien darin stammten von Donna. Auf einigen war er selbst zu sehen, inmitten der alten Rasselbande. Auf den meisten natürlich waren die Großen abgelichtet, so wundersam jung und unverbraucht. Monroe, Nona, Ariel. Vor allem aber Monroe, ihr hellster und tragischster Stern, marketingtechnisch gesehen durchaus klug auf dem Cover platziert. Lässig vor dem Eingang lehnend, während er hinauf in den Himmel blickte und unglaublich gut aussah. Die hellen Augen versonnen, das dicke, blonde Haar ungebändigt wie sein Herz. Maxim durchfuhr ein bitteres Sehnen. Er fragte sich, ob die Wunde, die Monroes früher Tod gerissen hatte, dazu verdammt war, auf ewig zu bluten. Sieben Jahre nach seinem Ableben war sie noch immer tief und klaffend.
Schon damals hatten sie alle gewusst, dass der Schauspieler außergewöhnlich war, ein Jahrhunderttalent, und doch umflattert von Dämonen, die sein Schicksal vorwegzunehmen schienen. Nur wenige Jahre nach dem Ende des Cafés der Nacht bereits ein Star, der viel zu schnell gelebt hatte, und heute in einer Reihe aufgezählt wurde mit Legenden wie Kurt Cobain und Heath Ledger. Wie eine Sternschnuppe, zu hell gestrahlt, zu schnell verglüht. Es zog schmerzhaft an Maxims Herzen, und er legte schnell das Buch zurück. Es war nicht der einzige Grund, warum er sich normalerweise scheute, an das Café der Nacht zurückzudenken, aber der wirkungsvollste.
„Irgendwann“, hatte Dela gesagt, als sie Maxim damals zum Abschied fest umarmt hatte, „wird die Zeit reif sein für einen Neuanfang.“ Nach diesem Tag vor zwanzig Jahren hatte er sie nie mehr gesehen. Er hatte gehört, eine ganze Weile später, dass sie einen Nachtclub in Berlin betrieb. Doch das war gut zwölf Jahre her, wer wusste schon, wo sie nun lebte, wie es ihr ging? Sie musste mittlerweile Anfang sechzig sein. Er lächelte. Er konnte sich beim besten Willen keine so alte Dela vorstellen.
Es war spät, Maxim fuhr sich müde übers Gesicht. Geister der Vergangenheit spukten ihm durch den Sinn. Er hatte wunderbare Erinnerungen an diese Zeit. Es war fraglos die beste Phase seines Lebens gewesen. Und doch barg sie auch dunkle, schmerzvolle Geheimnisse, die er in den hintersten Fächern seines Gedächtnisses verborgen hatte, fest entschlossen, sie niemals wieder hervorzuziehen. Der goldene Schlüssel lag neben dem Buch auf dem kleinen Tischchen an seiner Seite und glänzte verlockend. Der Wunsch, das alte Café nach all den Jahren wiederzusehen, gepaart mit der neugierigen Frage, was es mit Delas seltsamem Brief auf sich hatte, arbeitete in Maxim. Er saß lange Zeit so, tief in Gedanken. Konnte, sollte er es wagen ...? Die Verlockung nagte an ihm. Fast war ihm, als würde das alte Haus ihn rufen, ein unwiderstehliches Sirenenwispern. Vielleicht war es an der Zeit, sich der Vergangenheit zu stellen. Doch war er wirklich dazu bereit? Maxim schloss die Augen, und ihm war, als hörte er Monroe leise lachen. Er schluckte, doch dann setzte er sich ruckartig auf, um Zettel und Stift zur Hand zu nehmen. Er schrieb eine kurze Notiz, die seine Sekretärin Adele am Montagmorgen begrüßen würde, wenn sie die Tür aufschloss und das leere Haus betrat.
Bitte alle Termine absagen, musste dringend nach München. Bin in ein paar Tagen zurück.
-Mx
PS: Machen Sie sich keine Sorgen, alles ok!
* * *
Novemberkälte, eisverweht. Um Maxims Schuhe scharten sich herangeblasene, zerfallende Kastanienblätter. Delas goldenen Schlüssel in der Hand stand er wieder vor der Tür, durch die er vor so vielen Jahren erstmals getreten war. Gerade mal achtzehn war er gewesen. Jung und, nun ja, vermutlich auch ein bisschen dumm. Mit achtzehn
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