Café der Nacht (German Edition)
Schweigen. Es war ein schwerer Schlag für die eingeschworene Gemeinschaft.
Donna erhob als Erste ihre Stimme, das Kinn trotzig vorgeschoben. „Wir können sie nicht einfach so gehen lassen.“
„Aber wir müssen akzeptieren, dass sie ...“
„Nach dem, was mit Ariel geschehen ist, kann keiner verlangen ...“
„Ich sagte, wir können sie nicht einfach so gehen lassen“, wiederholte Donna unbeirrt. „Wir müssen was auf die Beine stellen, ihr Heulsusen. Eine Abschiedsfeier. Nur wir. Nur die Familie. Seid ihr dabei?“
Sie sahen sich an, und plötzlich kam neuer Schwung in die Runde. Alle waren sich sofort einig. „Unbedingt!“
Merlyn erhob sich. „Ich rufe Nona an. Sie muss kommen.“
„Und was ist dann mit Monroe, sollten wir nicht auch ...?“, fragte das Kätzchen. Doch Maxim schüttelte den Kopf. Die anderen sahen ihn an und nickten. Keiner hakte nach.
* * *
Als der Tag der Abschiedsfeier gekommen war, grübelte Maxim noch immer fieberhaft, was er Dela schenken könnte. Er konnte nichts für sie singen oder spielen, keine brillante Fotografie der Pensionsbewohner für sie schießen, so wie Donna. Sie hatte sie aufgenommen, als sie noch vollzählig gewesen waren, samt Nona und Monroe, eines Nachts im Gewölbe, die lustige Truppe schon ziemlich angeheitert. Nun, großformatig vergrößert, schwarzweiß und ausdrucksstark, saßen sie alle da, einige lachten in die Kamera, andere schäkerten miteinander oder sahen zur Seite. Dela im Kreise ihrer Lieben. Dieses Bild drückte alles aus, ein ganzes Lebensgefühl, eine Ära, ohne Worte. Maxim hatte das unbestimmte Gefühl, dass dieses Foto eines Tages einiges wert sein könnte.
Er wollte Dela ebenfalls ein Geschenk machen, auch wenn es nur etwas Kleines, Symbolisches war. Letztlich entschied er sich für die edle Kunstdruckkarte mit dem Abbild von Botticellis Venus, die er schon vor Langem in Wonnigmanns kleinem Laden um die Ecke erstanden hatte. Er saß in seinem Pensionszimmer und überlegte hin und her, welche Worte er wählen sollte. Schließlich schrieb er einfach, was ihm in den Sinn kam. Zu seinem eigenen Erstaunen wurde daraus ein Gedicht.
Sie lachten viel an diesem Abend, schwelgten in gemeinsamen Erinnerungen. Alle gaben sich betont heiter. Es war schon spät, als Nona und Merlyn zum Klavier hinübergingen. Er begann die ersten wehmütigen Töne vonEdith Piafs Le Vieux Piano zu spielen und durch die Runde ging ein Schmunzeln. Und Nona sang, mit ihrer wunderbaren, kristallklaren Stimme, die das Gewölbe mit solcher Leichtigkeit erfüllte, als wäre es ein kleines Zimmer, während Merlyn sie feinfühlig-verspielt begleitete. „Un piano est mort et celle-là l’aimait ...“
Maxim sah zu Dela hinüber. Sie lächelte weich, doch in ihren Augen schimmerten Tränen. Vielleicht sang Nona ihr eine Erinnerung an die Zeit, als sie noch jünger gewesen war. Sie war eine Frau voller Geheimnisse, und Maxim wünschte plötzlich, er hätte öfter versucht, ihr einige davon zu entlocken. Man hätte über Dela und ihr Leben Bücher schreiben und doch niemals alles erzählen können. Sie war wie das Café der Nacht.
Er wartete einen ruhigen Moment ab, um ihr sein Abschiedspräsent zu geben. Dela nahm lächelnd die Karte und schlug sie auf. Sie las sie still und nahm ihn danach wortlos in den Arm, ganz fest. Auf dem Einlegeblatt stand in seiner ordentlichen Handschrift das Gedicht.
Was verbirgt sich in den Schatten – wohl ein Lachen?
Leise, Sehnsucht, träum von dem, was kommt
Such nicht, das, was war, zu fassen
Hinter Masken tanzen, tanzen
Tausend Welten, die wir kannten
All die Schäume, die wir schufen
Sieh nur, wie sie schon verblassen.
Was verbirgt sich in den Schatten – wohl ein Lachen?
Leise, Sehnsucht, träum von dem, was kommt
nicht von dem, was war, vergangen
Was wir waren, was wir sind
nichts als Flüstern nur im Wind
Lebend – doch in Schwebe nur
Nie begreifend, was wir hatten.
* * *
„Irgendwann“, sagte Dela, als sie Maxim am nächsten Morgen zum Abschied fest umarmte, „wird die Zeit reif sein für einen Neuanfang.“
Es war warm und windig, ihr Schal flatterte hinter ihr her, als sie ins Taxi stieg. Versammelt wie zum Appell standen sie und winkten dem Wagen hinterher. Merlyn war nicht der Einzige, dem Tränen über die Wangen kullerten. Am selben Tag noch stahl sich Fidelikus ohne Abschied davon. Das hatte er angekündigt. „Wenn du so alt bist, wie ich, Junge“, hatte er Maxim
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