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Café der Nacht (German Edition)

Café der Nacht (German Edition)

Titel: Café der Nacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susann Julieva
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über den Tresen gleiten zu lassen, all die Kratzer und kleinen Unebenheiten zu spüren, die wie eine Erinnerungsschallplatte Vergessenes in ihm erklingen ließen.
    In der Ecke das alte, ramponierte Klavier. Magische Momente hatte es ihnen beschert, nicht seltener zu Tränen gerührt als zum Lachen gebracht. Auf dem Rest des Raumes hatten sich früher die Tische gedrängt, doch nun war alles leergefegt.
    Flüchtig wie ein Wimpernschlag blitzten Gesichter vor Maxim auf, glühend von angeheizten Diskussionen und schwerem Alkohol. Auf einem der Tische ein schlanker Körper, wild um die eigene Achse rotierend. Plötzlich ruckartig stoppend, ihn mit funkelnden, absinthgrünen Augen fixierend, bis der sinnliche Mund sich zu einem Lachen verzog. Dionysos, herabgestiegen, um mit ihnen zu feiern. Maxims Herz schlug heftig, plötzlich allzu lebendig zurückversetzt. Ah, Freiheit in der Luft, dick wie die Schwaden von Zigarettenrauch, die den Raum in eine geheimnisvolle Vorhölle verwandelten. Irgendwo am Rand eines brodelnden Vulkans, der jeden Moment zu explodieren versprach. Hier waren Götter erschaffen worden und andere enthauptet, und die Luft hatte vibriert, trunken von entfesselter Kunstliebe und orgiastischer Leidenschaft. Hier war es gewesen, dies war der Ort, an dem die Legende des Cafés der Nacht entstanden war. Nun, in der unfeierlichen Beleuchtung einer Neonlampe, die den Zauber des sonst kerzenbeflackerten Halbdunkels verwehte, war die Kneipe nur ein Raum. Ein aus Naturstein gemauerter Hohlraum mit vier auf einander zulaufenden Deckenbögen, an dem nichts, aber auch gar nichts besonders war. Ernüchternd einerseits, doch andererseits wurde Maxim angesichts dessen noch klarer, welch charismatische Menschen ihn einst Nacht für Nacht in ein verlorenes Paradies verwandelt hatten. Verloren wie der Traum von einem Ton, der noch nachklingt, wenn man längst erwacht ist.
    Draußen an der Oberfläche senkte sich die Dunkelheit schwer über den Winterhimmel. Irgendwo durch einen Spalt, eine Ritze zischte Wind herein und heulte grausig durch die verlassenen Räume. In dem leerstehenden Haus wurde die Stille plötzlich drückend laut, in den Ecken wuchsen bedrohliche Schatten. Maxim schauderte. Es gab Gründe, weshalb er nie, wenn er in der Stadt gewesen war, dem alten Haus einen Höflichkeitsbesuch abgestattet hatte. Hier war all das offensichtlich, glotzte ihn an wie ein Spiegel aus Vergangenheit. Er konnte sich nicht helfen. Monroes Gesicht, seine Stimme waren ihm plötzlich so lebendig. Seine alten Weggefährten waren alle noch irgendwo da draußen. Wie konnte es sein, dass ausgerechnet Monroe, dieser wunderbare Mistkerl, es nicht mehr war? Sein Fehlen schmerzte grausam, beharrlich, wie ein bissiger Hund, der einfach nicht von einem ablassen will. Hier, jetzt, mehr denn je.
    Maxim raffte sich auf und ging die letzten Meter bis zu der kleinen, kuriosen Nische neben der Bar. Einst hatte der Baumeister sie in die meterdicken Steinwände eingelassen, doch niemand konnte mehr sagen, weshalb. Gerade groß genug für eine kurze Sitzbank und einen wackeligen, schmalen Tisch. Maxims alter Stammplatz. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht, als er sah, dass dort etwas auf ihn wartete. Auf dem Tischchen standen eine Flasche Rotwein und ein Weinglas. Daran gelehnt ein dicker Umschlag und ein Zettel, auf dem er Delas Handschrift erkannte. Als er das Blatt aufnahm, entdeckte er erneut einen Schlüssel, diesmal plump und silbergrau, der sich dahinter versteckt hatte.
     
    Liebster Maxim,
    Willkommen!
    Hier der Schlüssel zur Wohnung und einige wichtige Informationen über das Haus. Wie versprochen, wirst du schon bald mehr erfahren.
    Dicke Umarmung,
    Dela
     
    Sehnsucht überkam Maxim wie eine Welle, der Wunsch, seine alte Freundin zu sehen, ihre Gegenwart zu genießen. Er drehte das Blatt um und konnte ein leises Lachen nicht unterdrücken, als er las, was auf der Rückseite geschrieben stand. Aus gutem Grund waren ihm die Worte wohlbekannt.
     
    Was verbirgt sich in den Schatten - wohl ein Lachen?
    Leise, Sehnsucht, träum von dem, was kommt
    nicht von dem, was war, vergangen
    Was wir waren, was wir sind
    nichts als Flüstern nur im Wind
    Lebend - doch in Schwebe nur
    Nie begreifend, was wir hatten.
     
    Maxim ließ das Blatt sinken, leise schmunzelnd, den Blick für einen Moment ins Leere gerichtet. Dann griff er nach der Weinflasche und öffnete sie, ließ vom Traubenblut ins Glas sprudeln und prostete dem Nichts zu. Auf seine

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