Cagot
hingehen?«
»Ich würde gern damit anfangen, mir die Kirchen anzusehen. Die auf meiner Karte eingezeichnet sind …«
»Okay.«
»Aber zuerst … würde ich gern dorthin gehen, wo es was Vernünftiges zu trinken gibt.« Er sah sie lange an, bevor er ihr gestand, dass ihm immer noch gewaltig die Muffe ging; die Angst, die Miguels Angriff in ihm ausgelöst hatte, steckte ihm noch tief in den Knochen.
»Gut, lass uns was trinken«, sagte sie. »Dann können wir uns weiter unterhalten.«
Nach ein paar Minuten Fahrt erreichten sie ein verschlafenes kleines Nest; auf dem Ortsschild stand Irurita. Alte Männer mit Baskenmützen dösten vor kleinen Cafés im Freien vor sich hin. Nachdem sie an der Dorfkirche geparkt hatten, gingen sie in eines der Cafés; sie setzten sich unter einen Sonnenschirm. Die klare Bergluft war erfrischend, die Sonne warm. Amy bestellte Oliven und eine Flasche von dem lokalen Weißwein, den sie Txacolli nannte.
Die Bedienung brachte ihn mit einem flinken Knicks an ihren Tisch.
Schließlich eröffnete Amy das Gespräch: »Du hast mir die naheliegendste Frage noch nicht gestellt.«
Er wusste nicht, was sie damit meinte; ihre Miene war ernst.
»Da ist etwas, was du besser wissen solltest … wenn ich dich Jose vorstelle.«
Er nahm einen Schluck von dem kalten, frischen Wein und nickte. »Okay. Wenn du meinst. Warum hat Miguel dich angegriffen? Er tauchte plötzlich aus dem Nichts auf, und dann … dann hat er dich einfach angegriffen. Warum?«
Ihre Antwort kam sofort.
»Weil er mich hasst.«
»Warum?«
Sie presste die Hände aneinander, als betete sie. »Als ich zum ersten Mal ins Baskenland kam, war ich … wie gesagt, der ETA gegenüber durchaus wohlwollend eingestellt. Den baskischen Unabhängigkeitsbestrebungen. Ich hielt es für das unterstützenswerte Ziel eines uralten Volks. Ich sympathisierte sogar mit den Terroristen. Eine Weile. Ein paar Monate.«
»Und…«
»Dann lernte ich Jose kennen. Den großen Jose Garovillo. Wir wurden richtig gute Freunde, er zeigte mir, wo man in Bizkaia die besten Pintxos bekommt. Er erzählte mir alles. Er erzählte mir, dass er nach Francos Sturz der Gewalt abgeschworen hatte. Er sagte, in einem demokratischen Spanien sei der Terrorismus eine Sackgasse für das baskische Volk.«
»Aber sein Sohn…«
»War diesbezüglich anderer Meinung. Nur zu offensichtlich.«
Sie sah David unverwandt an. »Und dann beschaffte mir Jose diesen Job an der Uni. Dazu musst du wissen … viele der Studenten in meinen Seminaren sind sehr radikal; sie kommen aus den Armenvierteln von Vittoria und Bilbao und wären bereit, für die ETA zu sterben. Die Mädchen sind sogar noch fanatischer als die Jungen. Mörder in Miniröcken.«
Ihre Lippen glänzten vom Txacolli rosa und feucht. »Ich betrachte es als meine Aufgabe, sie, wenn es irgendwie geht, von der ETA wegzusteuern, sie von der Gewalt und der selbstzerstörerischen Kraft des Terrorismus abzubringen. Deshalb beschäftigen wir uns in meinen Seminaren vorwiegend mit Revolutionsliteratur: Orwell über den Bürgerkrieg, Yeats über den irischen Freiheitskampf. Ich versuche, ihnen sowohl die Tragik als auch die Faszination eines gewaltsamen Unabhängigkeitskampfs vor Augen zu führen.«
»Und deshalb hasst dich Miguel? Weil er glaubt, du bist gegen die ETA?«
»Ja. Ich wusste, dass er sich ins Ausland abgesetzt hatte, aber dann kamen mir Gerüchte zu Ohren, dass er zurück wäre. Trotzdem hielt ich es für unbedenklich, wieder mal im Bilbo vorbeizuschauen und ein paar alte Freunde zu besuchen. Er muss allerdings schon in der Bar gewesen sein. Wahrscheinlich war er mit seinen ETA-Kumpanen in einem der Hinterzimmer …«
»Und dann bekam er etwas von dem Streit mit.«
»Ja. Er kam nach vorn. Und sah mich. Mit dir.« Sie schnitt ein Gesicht. »Und tat das, was er am besten kann.«
Die Erklärung war gut, wenn nicht sogar perfekt. Aber David spürte immer noch das Echo von etwas Unausgesprochenem; da war ein dunkler, verschwommener Fleck auf dem Bild. Was gab es noch, was sie ihm nicht erzählte? Was hatte es mit der Narbe auf ihrer Kopfhaut auf sich?
Er wurde aus seinen Gedanken gerissen. Die Bedienung stellte eine Schale mit Oliven auf den Tisch.
Er sagte: »Gracias«, und das Mädchen nickte, knickste erneut und antwortete mit diesem gutturalen Akzent: »Kakatazjaka« …
Dann winkte sie einer Freundin auf der anderen Seite des kopfsteingepflasterten Platzes zu und kehrte in die Bar zurück.
»Irgendwie
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