Cagot
sich das beste Hotel Navarras leisten können - aber das wäre verkehrt gewesen. Er wollte kein Aufsehen erregen, wollte anonym und unbemerkt bleiben, ein stinknormaler Tourist in einem netten Mittelklassehotel. Deshalb nahm er sich im Hotel Gernika ein Zimmer und verbrachte den Rest des Tages damit, von seinem bescheidenen Balkon den Anblick der Berge zu genießen, deren steile Kare und schroffe Spitzen in der Ferne triumphierend glänzten.
Es war ein heißer und staubiger Tag. Am Abend beschloss er, ein bisschen zu schwimmen. Er ging in den Garten des Hotels, zog sich bis auf seine Badeshorts aus und sprang in das einladende blaue Wasser des Pools - um heftig nach Luft schnappend wieder aufzutauchen. Das Wasser kam direkt aus den Bergen und war eiskalt.
Sein ganzer Körper prickelte, sein Herz klopfte, es war ein perfektes Sinnbild seiner Situation. Drei Wochen zuvor war er noch ein lustloser, gelangweilter Anwalt gewesen, der während der morgendlichen Zugfahrt zur Arbeit kostenlose Zeitungen las, im Büro Kaffee aus dem Getränkeautomaten trank und sonst seine täglichen Runden in Belanglosigkeit drehte. Kaum im Baskenland angekommen, war er auf der Stelle von diesem Landstrich gefangen genommen worden, von seiner Rätselhaftigkeit und Fremdartigkeit und Gewalt; und trotzdem war es eine positive Erfahrung. Schockierend zwar, aber auf jeden Fall gut; belebend und stärkend. Wie ein Sprung in ein Becken mit eiskaltem Gebirgswasser. Prickelnd.
Er fühlte sich sehr lebendig.
Am nächsten Tag bekam er einen Anruf von Amy. Ihr war eine Idee gekommen. Um bei der Lösung des Rätsels voranzukommen, schlug sie ihm vor, seine Geschichte in der Zeitung zu veröffentlichen. Sie hatte sich bereits mit einer Bekannten in Verbindung gesetzt, die Journalistin war und sich bereit erklärt hatte, eine entsprechende Meldung zu schreiben. Je mehr Menschen von Davids Fragen wussten, desto größer waren, fand Amy, seine Chancen, zumindest ein paar Antworten zu erhalten.
David musste nicht lange überzeugt werden und stimmte rasch zu.
Sie trafen sich in der kargen weißen Wohnung der Journalistin; die junge dunkelhaarige Frau, Zara Garcia, tippte den Artikel direkt in ihr Notebook. Er erschien bereits einen halben Tag später in einer spanischen Zeitung und wurde umgehend von mehreren englischsprachigen Newsfeeds aufgegriffen und übersetzt.
Als David schließlich die veröffentlichte Meldung auf seinem Laptop las - er saß mit Amy in einem kleinen Wi-Fi-Cafe nicht weit vom Stadtplatz von Elizondo -, beschlich ihn allerdings eine gewisse Besorgnis. Die Überschrift lautete »Ungewöhnliches Millionenerbe führt auf die Spur eines baskischen Rätsels«.
Daneben ein Foto, das Zara von David und seiner geheimnisvollen Landkarte gemacht hatte; außerdem war am Ende der Meldung eine E-Mail-Adresse angegeben, unter der sich Leser mit David in Verbindung setzen konnten, wenn sie irgendwelche sachdienlichen Hinweise hatten.
Den Bezug zu Jose Garovillo hatte die Journalistin bewusst herausgelassen, weil dies, so ihre Begründung, im gegenwärtigen politischen Klima zu aufrührerisch und provokant wäre. Als David den Artikel jetzt las, wurde ihm klar, dass das eine vernünftige Entscheidung gewesen war; er fühlte sich wegen der Zeitungsmeldung ohnehin schon exponiert genug. Was war, wenn Miguel sie las?
Er klappte den Laptop zu und sah Amy in ihrer violetten Jeansjacke und den eleganten engen Jeans an. Sie erwiderte seinen Blick schweigend und aus blauen Augen; und in diesem Moment wurde er sich der Verrücktheit ihrer Situation plötzlich überdeutlich bewusst - es war wie ein unerklärliches Frösteln an einem sehr warmen Tag. Einerseits waren sie bereits Freunde; andererseits waren sie sich noch vollkommen fremd. Es war seltsam widersprüchlich.
Aber vielleicht nervte ihn auch nur der Lärm in der Bar. Das Klatschen und Gelächter der Kinder, die draußen auf dem Platz den seltsamen baskischen Nationalsport Pelota spielten, war sehr deutlich hörbar. Die Kinder schlugen den harten kleinen Pelotaball gegen eine hohe Mauer. Das Geräusch war intensiv und wiederholte sich ständig. Amy sah ihn an.
»Sollen wir woandershin gehen?«
»Wenn du noch Zeit hast.«
»Semesterferien. Außerdem würde ich dir gern bei deiner Suche helfen, solange meine Studenten noch damit beschäftigt sind, spanische Polizisten zu erschießen.« Sie lächelte über seine erschrockene Reaktion. »Hey. War doch nur ein Scherz. Wo willst du
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