Cagot
schon komisch.« David wandte sich halb Amy zu. »Ich habe noch niemanden ein Wort Baskisch sprechen hören. Die ganze Zeit noch nicht.«
»Wie bitte?«
»Ich bin jetzt zwei Tage im Baskenland und habe es überall in schriftlicher Form, auf Schildern, gesehen. Aber gesprochen hat es noch nie jemand.«
Amy schaute ihn unter ihren blonden Ponyfransen hervor an, als hätte er sie nicht alle.
»Das Mädchen hat gerade Baskisch gesprochen.«
»… Tatsächlich?«
»Na klar.«
Amy hatte ihre Jeansjacke ausgezogen. David sah den goldenen Flaum auf ihren gebräunten Armen, als sie nach ihrem Weinglas griff.
»Die Typen in Lesaka auch.« Sie neigte ihr Glas. »Sie haben alle Baskisch gesprochen. Darum waren sie ja auch so sauer, als du Spanisch zu sprechen versucht hast.«
David spitzte die Ohren und hörte auf das Geplauder der Bedienung. Kasakatschasaka.
Amy hatte recht. Das war sicher Baskisch. Und doch hatte es sich angehört, als sprächen sie ein etwas eigenartiges Spanisch. Und er hatte es die ganze Zeit gehört, ohne es zu merken.
»Aber mach dir deswegen keine Gedanken«, sagte sie. »Als ich zum ersten Mal hierher kam, habe ich auch eine Weile gebraucht, bis ich gemerkt habe, dass die Leute alle Baskisch sprechen. Ich dachte erst, es wäre nur irgendein unverständlicher spanischer Dialekt.« Sie schaute an David vorbei auf die weißgekalkten Kirchenmauern. »Ich glaube, es liegt daran, dass Baskisch so eigenartig ist: Ohr und Verstand können einfach nicht ganz fassen, was sie hören.«
»Hast du es denn gelernt?«
»Versucht habe ich es natürlich! Aber es ist schlicht und ergreifend unmöglich, diese ganzen komischen Konstruktionen und erst die Syntax.« Sie hob das Kinn. »Nur ein Beispiel, wie verrückt Baskisch ist. Was ist der erste Satz, den man in jeder Fremdsprache lernt?«
»Sprechen Sie Deutsch?«
»Sehr witzig. Was sonst noch?«
»Ein Bier, bitte?«
»Genau. Une biere s’il vous plait. Una birra perfavore. «
» Und wie sagt man >Ein Bier, bitte< auf Baskisch?« Amy sah ihn an. »Garagardoa nahi nuke.«
Sie saßen in angespanntem, aber kameradschaftlichem Schweigen in der Sonne. Und dann fuhr ein Windstoß in den Sonnenschirm. David blickte sich um. Von Westen jagten Wolken heran, mächtigere Wolken wälzten sich den nächsten Pyrenäenhang herab, wie ein langsam von den Schultern gleitender weißer Schaffellmantel.
»Na schön«, sagte David. »Und woher wissen wir, dass Miguel nicht plötzlich hier auftaucht? Und dir etwas antun will? Ich verstehe das nicht. Du wirkst so ruhig. Erstaunlich ruhig jedenfalls.«
»Er war betrunken. Davor hat er mich nur ein einziges Mal geschlagen.«
»Er hat das schon mal gemacht?«
Sie errötete. Dann fügte sie rasch hinzu: »Normalerweise hält er sich in Bilbao oder Bayonne auf - zusammen mit den anderen ETA-Anführern. Nach Navarra kommt er nur selten; hier könnte er zu leicht gesehen werden. Wir hatten lediglich großes Pech. Und im Übrigen lasse ich mich von diesem Dreckskerl nicht vertreiben.«
Die letzten Worte kamen sehr trotzig, die schmale Nase hoch erhoben, die Augen groß und wütend.
David schien das alles durchaus plausibel, und er spürte, wie ernst es ihr damit war. Trotzdem war ihm angesichts der Brisanz der Situation nicht wohl dabei, einfach nur in der milden Herbstluft zu sitzen und nichts zu tun.
»Okay. Dann lass uns mal aufbrechen. Sehen wir uns die Kirchen auf meiner Karte an.«
Amy nickte und stand auf; als sie ins Auto stiegen, spuckten die ersten Regentropfen auf die Windschutzscheibe.
»Wie schnell sich das Wetter ändert. Im Herbst.«
Der Regen vollführte einen lauten Trommelwirbel auf dem Autodach, als David das kostbare Stück Papier aus dem Handschuhfach holte. Vorsichtig entfaltete er die rätselhafte Landkarte, die ihn um die halbe Welt hierhergeführt hatte, und zeigte sie ihr.
Er sah, dass ihre Fingernägel abgekaut waren, als sie auf die Sternchen deutete. »Hier. Arizkun.«
»Kennst du den Ort?«
»Ich habe davon gehört. Eins der ursprünglichsten baskischen Dörfer. Hoch oben in den Bergen.« Sie sah David direkt an. »Ich kann es dir zeigen.«
David setzte das Auto zurück. Dann folgte er Amys Wegbeschreibung: in Richtung Grenze und Frankreich, auf die abweisenden Berge zu. Ins Land dahinter.
Je weiter sie in die Berge hinaufkamen, desto spärlicher wurden die Dörfer. Über die steil ansteigenden Wiesen trieben einsame Nebelfetzen, trübsinnige Dunstfahnen, wie die Banner eines
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