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Cagot

Cagot

Titel: Cagot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Knox
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Klamm und dunkel, mit blanken Holzbänken. Es roch nach fauligem Blumenwasser; fünf Buntglasfenster filterten das dunstige, kalte Tageslicht.
    »Eigenartig.« Amy deutete nach oben. Auf einem der Fenster waren ein großer Stier, ein brennender Baum und ein weißes baskisches Haus abgebildet. Sie zeigte weiter auf das Fenster und erklärte dazu: »Die Basken sind sehr religiös, streng katholisch. Aber bis zum zehnten Jahrhundert waren sie Heiden, und sie haben viele Elemente ihrer vorchristlichen Bildwelt beibehalten. Wie hier. Dieses Haus zum Beispiel…« Sie deutete auf das Hauptfenster. »… das ist das Exte, das Familienhaus, der Dreh- und Angelpunkt der heidnischen baskischen Frühkultur. Die Seelen der baskischen Toten, heißt es, kehren durch unterirdische Gänge in ein baskisches Haus zurück …«
    David schaute. Der Buntglasbaum brannte im kalten Tageslicht.
    »Und die Frau dort? Auf dem anderen Fenster?«
    »Das ist Mari, die Herrin der Hexen.«
    »Die …«
    »Göttin der Hexen. Der baskischen Hexen. Es gibt uns nicht, und es gibt uns doch, ganze vierzehntausend von uns.« Amys Augen waren blau und eisig, als sie David in dem diffusen Licht ansah. »Das war ihr berühmter - oder besser: berüchtigter - Leitspruch. Es gibt uns nicht, und es gibt uns doch, ganze vierzehntausend von uns.«
    In der Kälte waren ihre Worte wie sichtbar gewordene Geister; ihre Miene war unergründlich. David hatte das starke Bedürfnis, wieder ins Freie zu kommen; er wusste nicht mehr, was er eigentlich hier wollte. Deshalb steuerte er auf die kleine Tür zu und trat erleichtert ins Tageslicht hinaus. Amy folgte ihm lächelnd. Sie bog sofort nach links vom Weg ab, und plötzlich konnte David sie nicht mehr sehen.
    »Amy?«
    Stille.
    »Amy?«
    Stille. Und dann:
    »Hier. Was ist das? David.«
    Mit zusammengekniffenen Augen spähte er über den nebelverhüllten Friedhof. Und dann entdeckte er sie, ihre schemenhaften Umrisse: feminin und schmal und unwirklich. Rasch ging David zu ihr.
    »Schau«, sagte sie. »Noch ein Friedhof … mit aufgelassenen Gräbern.«
    Tatsächlich. Da war ein zweiter Friedhof, vom Hauptfriedhof durch eine, niedrige Steinmauer getrennt. Er war wesentlich stärker vernachlässigt. Eine primitive Engelsfigur war in das nasse Gras gefallen, in ihrem Auge hatte jemand geringschätzig eine braune Zigarette ausgedrückt. Den gestürzten Engel umgaben runde Grabsteine.
    Ein Geräusch ließ David herumfahren. Aus dem Dunst tauchte eine alte Frau auf. Ihr Gesicht war dunkelhäutig. Sie trug einen langen schwarzen Rock und einen zerlumpten blauen Pullover, über den sie ein mit Disney-Figuren bedrucktes T-Shirt gestreift hatte: Wall-E, König der Löwen, Pocahontas.
    Die Frau hatte einen Kropf von der Größe einer Grapefruit, eine riesige tumoröse Geschwulst, die an ihrem Hals klemmte wie die schwere Eisenkugel, die ein Kugelstoßer vor dem Stoß unter sein Kinn hielt.
    »Ggghhhtschtsch«, stieß die Alte hervor. Ihr Kropf blähte sich zornig, ihre Miene glühte vor Wut. Sie sah aus wie eine quakende Kröte.
    »Graktschakk.« Mit einem langen Finger deutete sie zuerst auf David und Amy, dann auf den vernachlässigten Friedhof.
    »Was? Was ist los?« Davids Herz begann heftig zu schlagen - vollkommen unbegründet. Das war doch nur eine alte Frau, eine bedauernswerte entstellte alte Frau. Und doch hatte er Angst, eine unerklärliche, aber greifbare Angst. Er drehte sich zu Amy um. »Was sagt sie?«
    »Ich glaube, es ist Baskisch. Sie sagt … Kackmenschen.« Amy sprach sehr leise und zog sich verlegen zurück.
    »Wie bitte?«
    »Sie sagt, wir sind Kackmenschen. Ja, Kackmenschen. Keine Ahnung, warum.«
    Die Frau starrte sie finster an. Und krächzte weiter. Fast war es, als lachte sie.
    »Amy, ich glaube, wir sollten lieber von hier verschwinden.«
    »Ja, bitte.«
    Sie eilten den Weg hinauf. David versuchte, nicht auf den riesigen Kropf der Frau zu schauen, als sie an ihr vorbeihasteten; doch dann drehte er sich doch um und starrte ihn an. Die Frau deutete immer noch auf sie, wie jemand, der sie anklagte oder beschuldigte oder verlachte.
    Inzwischen rannten sie fast; David stopfte im Laufen die Landkarte in seine Tasche.
    Ihre Erleichterung, als sie das Auto erreichten, war groß - und absurd. David entriegelte die Türen, startete den Motor und kurbelte, rasant wendend, am Lenkrad. Sie holperten über das Kopfsteinpflaster, vorbei am Schablonenbild Otsokos - dem stumm grinsenden schwarzen Wolfskopf.
    Sie fuhren

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