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Cagot

Cagot

Titel: Cagot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Knox
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versprengten Geisterheers.
    »Jetzt ist es nicht mehr weit bis zur Grenze …«, sagte Amy. »Früher haben viele Schmuggler diesen Weg genommen. Und Aufständische. Hexen. Terroristen.«
    »Und wie soll ich jetzt fahren?«
    »Da.«
    Amy deutete auf eine gewundene Nebenstraße mit einem Schild, das im Nebel gerade noch zu erkennen war.
    Die Straße nach Arizkun war noch schmaler. Die hohen, von großen Felsbrocken durchsetzten Hecken an ihren Seiten machten die Fahrt zu einem Spießrutenlauf. Nach Westen hin verloren sich finstere Bergspitzen im Nebel.
    »Bei klarem Wetter kann man hier weit nach Frankreich hinein sehen«, sagte Amy.
    »Ich kann kaum diese blöde Straße sehen.«
    Sie fuhren auf einen winzigen und sehr baskischen Dorfplatz. Das obligatorische Pelotafeld, mehrere Reihen mittelalterlicher Steinhäuser und ein herrschaftlicher Bau mit einem prunkvollen Wappen. Ein Lindwurm tanzte über den feuchten heraldischen Stein: ein Drache mit einem bedrohlich geringelten Schwanz und femininen Klauen.
    Das Dorf war bedrückend leer. Sie parkten vor dem mit ETA-Parolen besprühten Herrschaftsgebäude.
    Eusak Presoak, Eusak Herrira.
    Unter diesen Slogans war ein noch größerer Schriftzug. Das in der kantigen baskischen Schrift geschriebene Wort war deutlich zu lesen.
    Otsoko.
    Daneben war mit einer Schablone ein schwarzer Wolfskopf gesprüht. Der Wolf.
    Amy stand neben David und betrachtete das Graffito. »Ein Teil der baskischen Jugendlichen bewundert ihn abgöttisch …«, bemerkte sie dazu. »Warum?«
    »Weil er absolut skrupellos ist. Ein gnadenloser Killer … der wie aus dem Nichts auftaucht und wieder verschwindet. Und nie gefasst wird.«
    Sie schauderte. Und fügte hinzu: »Und sie bewundern ihn wegen seiner Brutalität. Natürlich.«
    »Miguel ist… besonders brutal?«
    »Geradezu ekstatisch. Überbordend. Poetisch. Die Spanier foltern baskische Extremisten, und umgekehrt foltert Miguel die Spanier. Die spanische Polizei hat eine Heidenangst vor ihm. Sogar die Anti-Terror-Einheiten.«
    Amy beugte sich vor, um sich das Graffito genauer anzusehen.
    »Und wie foltert er sie?«, fragte David.
    Ihr blondes Haar war im Nieselregen wasserbeperlt. »Einen Guardia-Civil-Mann hat er in Kalk begraben.«
    »Um Beweise zu vernichten?«
    »Nein, nein, nein. Miguel hat den Mann bei lebendigem Leib begraben, in Kalk, bis zum Hals. Er hat ihn gewissermaßen aufgelöst. Bei lebendigem Leib.«
    Amy lief abrupt los. David trabte ihr hinterher, und sie gingen nebeneinander einen feuchten Steinweg entlang, der zwischen zwei alten baskischen Häuser hindurchführte. David schaute nach links und rechts. An die feuchten Holztüren waren vertrocknete braune Sonnenblumen gehämmert. Am Weg wachsende Disteln waren zu stachligen Gliederpuppen geformt.
    Die Stille, die über dem Dorf lag, hatte etwas Gespenstisches. Das Echo ihrer Schritte war das einzige Geräusch, das durch den Nebel drang.
    »Wo sind denn alle?«
    »Ermordet. Tot. Nach Amerika ausgewandert.«
    Sie erreichten das Ende der Gasse. Hier gab es keine Häuser mehr, und sie waren nur noch von Gestrüpp und Felsen umgeben. Irgendwo da hinten war Frankreich, und das Meer - und Städte und Züge und Flughäfen.
    Irgendwo.
    Unvermutet tauchte eine Kirche auf. Uralt, kauerte ihr graues Gemäuer über einer nebelüberfluteten Schlucht. Die Fenster waren abweisend, der Bau finster und streng.
    »Nicht gerade einladend. Das Haus Gottes?«
    Amy drückte gegen das rostige Eisentor. »Die Kirchen hier sind oft so. Sie wurden auf uralten Kultstätten errichtet, auf heidnischen Stätten. Wegen der Atmosphäre vielleicht.«
    David blieb erstaunt stehen. Den Weg zur Kirchentür säumten seltsame runde Steine, wie auf Quadraten balancierende Kreise. Die Steine waren mit Lauburus verziert - den geheimnisvoll ätherischen Swastiken. David hatte noch nie runde Grabsteine gesehen.
    »Mal sehen, ob wir reinkommen«, sagte er.
    Sie gingen auf einem schlüpfrigen Kopfsteinpflasterweg auf die schlichte hölzerne Kirchentür zu. Sie war schwarz, alt, feucht - und abgeschlossen.
    »Mist.«
    Amy wandte sich nach links und begann, um die in Nebel gehüllte Kirche herumzugehen. David folgte ihr. Es gab eine zweite, kleinere Tür. Amy drückte den rostigen Griff nieder; sie ließ sich öffnen. David spürte, wie die Feuchtigkeit an seinem Nacken leckte; jetzt war es nicht nur kalt, sondern auch düster. Er wollte nach drinnen.
    Doch das Innere der Kirche war genauso wenig einladend wie ihr Äußeres.

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