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Cagot

Cagot

Titel: Cagot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Knox
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gekränkt.
    »Jetzt links abbiegen.«
    David fuhr von der Hauptstraße ab; sie kamen auf eine wesentlich weniger befahrene Landstraße. Vor ihnen erstreckte sich ein breites, fruchtbares Tal, umringt von meist dunstverhangenen Bergen, deren Spitzen von Schnee bestäubt schienen.
    »Das Tal von Baztan«, sagte Amy. »Schön, nicht wahr?«
    Sie hatte recht, es war ein überwältigender Anblick. Er betrachtete die friedliche Landschaft, die Rinder, die knietief im goldenen Flusslicht standen, die verschlafenen Wälder, die sich bis zum blauen Horizont in der Ferne erstreckten.
    Nachdem sie etwa zehn Minuten durch die herrliche Pyrenäenlandschaft gefahren waren, tauchten plötzlich eine Reparaturwerkstatt für Landmaschinen und ein Lidl-Supermarkt vor ihnen auf, und sie kamen in eine kleine Stadt mit altehrwürdigen Plätzen, heimeligen Bäckereien und plätschernden Gebirgsbächen, die an den Gärten uralter Sandsteinhäuser entlangliefen. Elizondo.
    Amys Wohnung befand sich in einer modernen Wohnanlage an der Hauptstraße des Orts. Sie schloss die Tür auf, und sie drückten sich verstohlen hinein; die Wohnung hatte hohe Fenster mit einem herrlichen Blick auf die Pyrenäen am Ende des Tals. Mit ihren eis- und nebelverhangenen Flanken und den blauen Gipfeln darüber sahen die Berge aus wie eine Reihe Mafiosi beim Friseur, mit weißen Umhängen um den Hals. Eine Reihe von Killern.
    Amy verschwand sofort in die Küche, und während sie sich dort zu schaffen machte, begannen Davids Gedanken wieder um Miguel zu kreisen. Miguel, Otsoko, der Wolf. Die ungeheuer kräftige Statur, die großgewachsene, dunkle Gestalt, die tiefliegenden Augen. Er versuchte, die Bilder von diesem Mann zu verdrängen. Um sich abzulenken, begann er, sich in der Wohnung umzuschauen. Die Wände waren fast kahl, aber die Bücherregale waren voll gewichtiger Literatur: Yeats und Hemingway und Orwell. Ein dicker Band mit dem Titel The Poetry of Violence.
    Was brachte sie ihren Studenten an der Universität von San Sebastian eigentlich bei?
    Dann drehte er sich um. Sie war zurückgekommen, mit Papiertüchern und Waschlappen und Desinfektionssalbe und einer Plastikschüssel voll mit heißem Wasser; gemeinsam knieten sie sich auf den blanken Holzboden und verarzteten sich gegenseitig. Sie betupfte mit einem Waschlappen seine Lippe; danach war der weiße Frotteestoff rot und braun von altem Blut.
    »Aua.«
    »Nix kaputt«, tröstete sie ihn. »Tapferer Soldat.«
    Er winkte das absurde Kompliment beiseite. Sie bückte sich, um den Waschlappen auszudrücken, und im Wasser gingen zartrote Blüten auf.
    »Wir könnten natürlich zum Arzt gehen«, sagte sie. »Aber wahrscheinlich müssten wir sechs Stunden warten, um genäht zu werden. Sollen wir uns das wirklich antun?«
    Er nickte. Ihre Miene war ernst und reserviert. Er vermutete, dass es noch einiges gab, was sie ihm nicht erzählt hatte; aber die wirklich entscheidende Frage hatte er ihr auch noch nicht gestellt: Warum hatte Miguel sie so unvorhergesehen und so wütend angegriffen?
    »Okay, Amy, jetzt verarzte ich dich.« Er nahm einen sauberen Waschlappen und befeuchtete ihn mit heißem Wasser. Sie hielt ihm mit geschlossenen Augen das Gesicht hin, und er begann, das Blut von ihrem Haaransatz zu tupfen. Sie zuckte bei der Berührung zusammen, sagte aber nichts. Während er ihre Wunde säuberte, begann er, sie auszufragen.
    »Was war in dieser Kneipe eigentlich genau los?«
    »Mhm?«
    »Was ich nicht kapiere, ist … ist … es war ja nicht nur dieser Miguel. Die Leute in dieser Bar waren alle irgendwie eigenartig. Was habe ich denn falsch gemacht? Wieso habe ich diese Leute so gegen mich aufgebracht, obwohl ich doch nur ein paar Fragen gestellt habe?«
    Um ihn ihre Stirn säubern zu lassen, streckte Amy ihm den Kopf entgegen. Sie schwieg eine Weile, bevor sie antwortete.
    »Also, die Sache ist folgende. Lesaka ist eine der nationalistischsten Städte des Baskenlands. Die Menschen dort sind sehr stolz und zu allem entschlossen.«
    David nickte und griff nach ein paar Papiertüchern, um die tiefe, aber nicht mehr blutende Wunde zu trocknen.
    »Ja. Und weiter?«
    »Und dann ist da noch die ETA. Die Terroristen. Miguels Freunde.« Sie runzelte die Stirn. »Erst vor zwei Wochen haben sie ein paar von der Guardia Civil umgebracht. Fünf Mann, bei einem fürchterlichen Bombenanschlag in San Sebastian. Und daraufhin hat die spanische Polizei vier ETA-Aktivisten erschossen. Madrid behauptet, sie hätten ebenfalls

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