Cagot
schon…«
»Das erste Mal habe ich dich bloß geschlagen. Das nächste Mal erschieße ich dich.«
Amy und David rannten aus dem Haus und sprangen in ihr Auto.
Aber Miguel folgte ihnen. Er hatte seine Pistole gezogen und hielt sie in die Höhe - als wollte er sie ihnen zeigen. Fast haftete ihm etwas von einem Fabelwesen an, ein Riese, ein wilder Jentilak aus dem Wald, der seine Wut und seine Stärke zur Schau stellte. Die Pistole schimmerte im dunstigen Sonnenschein unwirklich schwarz.
Hektisch mit dem Lenkrad ringend, stieß David mit durchdrehenden Reifen zurück und wendete, dann schoss er holpernd die Zufahrt hinunter und bog schleudernd auf die Landstraße ab.
Sein einziger Gedanke war, weg von hier, und eine halbe Stunde lang fuhr er einfach nur, immer weiter und weiter in die grüngrauen Ausläufer der Berge hinein.
Nachdem Panik und Schock sich etwas gelegt hatten, wuchs eine unbändige Wut in ihm. Zugleich hatte er das dringende Bedürfnis, anzuhalten und in Ruhe nachzudenken.
Er fuhr an den Straßenrand. Vor ihnen lag ein kleines Dorf; links war eine Sägemühle zu sehen. Die fernen Pyrenäen schienen mit einem Mal nicht mehr annähernd so schön; die Bäume des Walds waren in hartnäckigen, alles erstickenden Nebel gehüllt. Auf einem Hügel thronte eine von runden Grabsteinen umgebene Kirche.
Alles war von Feuchtigkeit durchdrungen, alles moderte vor sich hin.
»Verdammte Scheiße«, zischte David.
Amy legte schuldbewusst den Kopf auf die Seite.
»Ich weiß. Es tut mir leid.«
»Was?«
»Es tut mir leid, dass …«
»Das ist doch nicht deine Schuld.«
»Aber …« Sie schüttelte den Kopf. »Und ob es meine Schuld ist. Vielleicht solltest du doch lieber nach Hause fahren, David. Miguel ist einzig und allein mein Problem.«
»Von wegen. Er ist auch mein Problem.«
»Aber ich habe dir doch gesagt, wie er ist. Mörderisch eifersüchtig. Er … wird … keine Ruhe geben. Er könnte dich sogar …«
»Umbringen?«
Sie zuckte zusammen.
Der Rebell in David bahnte sich einen Weg.
»Soll er es doch mal probieren! Ich will endlich wissen, was das alles zu bedeuten hat.« Er startete den Wagen und fuhr ein paar Minuten langsam weiter. »Ich will die ganze Wahrheit wissen. Es muss einen Grund für all das geben, sonst hätte mich mein Großvater nicht hierher geschickt - in diesen ganzen Irrsinn. Und ich will wissen, was dieser Grund war.«
»Die Landkarte.«
»Genau. Die Landkarte. Du hast ja gehört, was Jose gesagt hat; du hast gesehen, wie er reagiert hat - da ist etwas … etwas …«
Er überlegte, wie er die Komplexität dieses Rätsels beschreiben könnte; doch er kam nicht dazu, weiterzusprechen. »Nicht anhalten.«
»Was?«
»Fahr einfach weiter.«
»Was ist denn?«
David spürte, wie sich eine böse Ahnung eisig kalt um sein Herz legte. Amy bestätigte sie. »Miguel. In dem Auto hinter uns.«
9
Amys Augen waren auf den Rückspiegel geheftet. David folgte ihrem Blick.
»O Gott.« Er kniff die Augen zusammen. »Glaubst du wirklich? Ist es dasselbe Auto?«
»Klar, das ist Miguel.«
Die Straße vor ihnen war schmal, und der Nebel wurde dichter, je weiter sie den Berg hinauffuhren.
»Aber …« Davids Finger krallten sich um das Lenkrad. »War er schon die ganze Zeit hinter uns?«
»Keine Ahnung. Vielleicht ist er uns gefolgt. Oder …«
»Was?«
»Er ist bei der ETA. Und das hier ist das Stammland der ETA.«
»Und…«
»Sie überwachen alle Straßen, rund um die Uhr. Er hat überall seine Freunde und Kontakte. Vielleicht hat ihn jemand angerufen. Wir haben eben vor diesem Dorf angehalten. Was machen wir jetzt?«
Die Angst war greifbar. Aber wieder regte sich Davids Widerstandsgeist. Er dachte an seine Eltern, die ihn allein zurückgelassen hatten. Er dachte an seine Einsamkeit. Er hatte sich ganz allein sein Studium finanzieren müssen, hatte immer nur seinen Großvater im fernen Phoenix gehabt. Er hatte alle diese Widrigkeiten überwunden, war mit allem fertig geworden, da würde er sich doch jetzt nicht unterkriegen lassen, auch nicht vom brutalsten und unheimlichsten aller Terroristen. Nicht jetzt. Nicht, seit er wusste, dass das Geheimnis seines Großvaters mit seiner eigenen Vergangenheit, mit seiner eigenen Identität zu tun hatte. Mit der Enthüllung, dass er Baske war.
Und er ließ sich nicht gern jagen.
»Wäre doch gelacht, wenn ich dieses Arschloch nicht abhängen könnte.«
Er stieg aufs Gas und preschte die enge, kurvenreiche Bergstraße hinauf; das
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